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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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wird ihm klar, daß diese Frage mit ja zu beantworten sein könnte. Ich glaube, wir alle haben angefangen zu lernen, sogar von Angelica, der, wie Antigone ›der Busen glühend wallt‹ wo Ismene ›der Schauder faßt‹.«
    Jetzt hatte Kate die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Geschwister. Sie fühlte sich fast wie Antigone persönlich, zu der Ismene weise sagte: »Man soll erst gar nicht wollen das Unmögliche!« War dies das Unmögliche? Nein, Ismene war nicht weise, denn das einzige Unmögliche ist das, was wir nicht wagen.
    »Ich vermute«, fuhr Kate fort, »daß die Encountersitzungen über ihren ursprünglichen dramatischen Zweck für die ›Antigone‹ hinaus, zunächst unmerklich, mit Kissen und Matratze Bedeutung gewannen für die aktuellen dramatischen Situationen in Angelicas schwierigem Familienleben. Vielleicht haben auch andere im Mittelpunkt der Encountersitzungen gestanden, ich weiß es nicht, und es ist auch nicht wirklich wichtig. Ich bin mir aber sicher, daß sich Mrs. Banister in einem schrecklichen Gewissenskonflikt befand – wenn ihr meiner Generation die unselige Neigung zu Übertreibungen gestattet. In gewisser Weise war die Gruppe zu weit gegangen; die Grenze dessen, was sich das Theban unter einer Theatergruppe vorstellt, war schon lange vorher überschritten. Es bestand immer die Gefahr, daß in solch einer Situation ein reales emotionales Problem auftauchen könnte, ein Problem, mit dem nur ein besonders erfahrener Gruppenleiter (so nennt man sie, glaube ich, in Esalen) würde umgehen können. Hätte sie die Gruppe für diese Aktivitäten getadelt und verlassen, hätte sie mit Sicherheit die eigene Haut gerettet, das heißt ihren Job und scheinbar ihr Verantwortungsbewußtsein; aber sie hätte mehrere heranwachsende Mädchen, die, dessen war sie sicher, ihre Encountergruppen ohne sie fortsetzen würden, einer echten Gefahr ausgesetzt. Sie beschloß, und das spricht sehr für sie, bei der Gruppe zu bleiben, selbst bei den Sitzungen, die außerhalb der Schule stattfanden, und sie hoffte, es würde ihr gelingen, die Energie der Sitzungen auf andere Dinge zu lenken. Dabei hoffte sie besonders auf den nahenden Frühling und damit verbundene mögliche Verliebtheiten.
    Unglücklicherweise ließ sich ihr hervorragender Plan nicht so realisieren. Neulich abend«, Kate nippte an ihrem Tee, »ihr wißt schon, welchen Abend ich meine…«
    »Soll das alles uns wirklich helfen?« fragte Patrick. »Glauben Sie das selbst, oder macht es Ihnen einfach Spaß, hier zu sitzen und sich aufzuspielen?«
    Kate sah ihn an. » ›Oft brütet Schweres solch ein junges Herz im Gram.‹ Auch das ein Zitat aus der ›Antigone‹, obwohl man für diese Erkenntnis weiß Gott keinen Sophokles braucht. Ich rede gern, ich bin eine alternde, weitschweifige, selbstgefällige Nervensäge, aber wenn ihr glaubt, daß das hier meiner Vorstellung von Spaß und Spiel entspricht, dann denkt noch mal drüber nach. Offen gesagt, ich würde lieber in Woodstock einen Joint rauchen, auf einem überfüllten Feld im Regen, umgeben von selbsternannten Rocksängern, was für mich, falls euch die Anspielung entgangen ist, gleich nach der Hölle kommt. Dennoch«, plötzlich widerstrebte Kate die Art und Weise, mit der sie sich diesen beiden aufdrängte, »habt ihr vielleicht recht. Wenn ich jemandem diese ganze verdammte Geschichte erzählen muß, und ich fürchte, das muß ich, dann kann dieser ›jemand‹ ebensogut Miss Tyringham sein. Ich habe immer gesagt, daß das Verlagern von Problemen die Grundregel für ein langes und angenehmes Leben ist, und es ist ja eigentlich ihr Problem. Sie wird sowieso demnächst alles erfahren müssen. Tut mir leid. Wir glauben alle, und ich ganz besonders, daß unsere Aufrichtigkeit und unsere guten Absichten jedem, an dem uns etwas liegt, absolut klar sein müssen. In meinem Fall kommt es daher, daß ich das jüngste und verwöhnteste Kind der Familie war.«
    Mit einem Seufzer der Erleichterung (niemand kann behaupten, ich hätte es nicht versucht) nahm Kate die Füße wieder vom Fußteil ihres Sessels und stand auf. Sie griff nach Mantel und Tasche, überlegte, ob sie nach der Toilette fragen sollte, ließ es dann aber bleiben. Noch keine Rush-Hour, vielleicht ein Taxi, Reed und ein Zuhause, dessen Schwelle, so wahr mir Gott helfe, kein Mensch unter dreißig jemals wieder betreten wird. Das Seminar und das Theban würden zu gegebener Zeit aus ihrem Blickfeld entschwinden.
    »Danke für den Tee«,

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