Schule versagt
eine Kultur des Führens und Dienens als Basis für Erfolg. Ich kam zu der Überzeugung, dass es genau solche Kompetenzen sind, nämlich Mentor und »leitende Kraft« zu sein und gleichzeitig dem Wachstumsprozess der Schüler zu dienen, die vorhandene Verhaltensmuster ablösen müssen. Diese Kompetenzen müssen die Grundlage der Vermittlung von Lehrstoff ebenso wie der individuellen Förderung von Schülern sein. Die Lehrer-Schüler-Beziehung muss verändert werden. Ich stelle sieben Thesen zur nachhaltigen Veränderung dieser Beziehung auf. These 1 lautet nicht zufällig: Bei sich selbst beginnen, zum Beispiel bei der Frage, warum man sich überhaupt für den Lehrerberuf entscheidet. Die zweite Schlussfolgerung für mich war, dass das System Schule zwingend neu strukturiert werden muss, von der Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung von Lehrern angefangen bis hin zu neuen Lernformen. Damit sich die frustrierenden Erfahrungen von Schülern, Eltern und Lehrern nicht endlos fortsetzen. Damit Schule nicht versagt.
Die Ereignisse, Szenen und Dialoge, die wir im Buch beschreiben, haben sich so oder in sehr ähnlicher Weise abgespielt. Orts- und Personenbeschreibungen sind verfremdet, alle Namen frei erfunden. Ich habe Typisierungen vorgenommen. Es geht hier nicht darum, einzelne Schulen, Lehrer und Vorgesetzte zu porträtieren. Die im Buch vorkommenden Personen repräsentieren nicht einzelne identifizierbare Individuen, sondern Denk-, Handlungs- und Lebensorientierungen, die jeweils für einen bestimmten Lehrertypus charakteristisch sind. Es geht um Verhaltensmuster und -motive, auf die ich immer wieder traf.
Wenn ich darüber nachdenke, was, neben den Ergebnissen der Recherche und den daraus erwachsenen Erkenntnissen, für mich persönlich geblieben ist aus dieser Zeit, dann ist es die lebendige Erinnerung daran, dass ich mit einigen klugen, aufgeschlossenen und integren Lehrerinnen und Lehrern zusammen gearbeitethabe. Vor allem aber empfinde ich Dankbarkeit dafür, das Heranwachsen und die Entwicklung junger Menschen beobachtet, begleitet und vielleicht auch gefördert zu haben. Wie bei allen schöpferischen und produktiven Prozessen spürte ich dort die Energie, die sich nicht verbraucht, sondern erneuert und stetig zufließt.
Inge Faltin, November 2010
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DANIEL FALTIN
Ungenutztes Potenzial
Jugendliche in jedem Land befinden sich zu einem gewissen Maß in demselben Dilemma. Sie wurden für ein Leben unterrichtet und ausgebildet, welches nicht existiert.
Pearl S. Buck
Als meine Mutter mich bat, mit meinen Erinnerungen an meine eigene Schulzeit einen Beitrag zu diesem Buch zu leisten, war mir zunächst nicht ganz klar, was ausgerechnet ich dazu beitragen könnte. Meine Erfahrungen mit dem deutschen Schulsystem sind keine »schöne Geschichte«. Seit dem Abitur waren viele Jahre vergangen. Inzwischen war ich in der Welt herumgekommen, hatte an vielen Orten gearbeitet, und meine Begeisterung für diese emotionale Zeitreise hielt sich in Grenzen. Ich sah meine Notizen aus der damaligen Zeit durch und traf mich mit ehemaligen Schulfreunden. Wir sprachen über »die alten Zeiten« und hatten alle ähnliche Erfahrungen gemacht. Da wurde mir wieder bewusst, wie aktuell und wichtig das Thema Schule ist. Die deutsche Schule hat viele Jahre meiner Jugend belastet – und es brauchte weitere Jahre, um mich von diesen Erfahrungen zu erholen. Ich habe versucht, so ehrlich wie möglich meine Erlebnisse als Schüler an mehreren deutschen Schulen zu schildern, nichts zu schönen oder zu dramatisieren, und damit einen Beitrag zu der Erkenntnis zu leisten, was täglich so oder so ähnlich in den Klassenzimmern vor sich geht.
Ich wuchs in Berlin, damals noch Berlin-West, im amerikanischen Sektor auf. Ein geteiltes Deutschland und der demokratische Teil Berlins gehörten für mich genauso zum Alltag wie das klackende Geräusch der Boots der amerikanischen Infanteristen, die ihre frühmorgendliche Präsenz auf der Straße deutlich machten. Ich werde den Sommertag nie vergessen, als wir im Garten des Kindergartens versammelt waren – unsere Eltern, die Erzieherinnen und wir Kinder. Sechs Jahre alt war ich damals, reichte meinem Vater bis zur Hüfte und hatte gerade meine erste Ausbildungim Sandburgenbauen und verbotenen Klettern auf Bäume in einem der wenigen freien evangelischen Kindergärten Berlins abgeschlossen. Ein neuer Lebensabschnitt sollte beginnen. So zumindest verhießen es die
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