Schule versagt
Taktgefühl noch Gehör, Stimme oder sonst etwas verlangte: die Triangel. Die Hauptrollen der wenigen Theaterstücke, die wir aufführten, wurden allesamt mit den Koryphäen des Flötenunterrichts besetzt. Auch hier hatteich selbstredend nur unzureichende Qualifikationen. Ganz fernhalten konnte mich Frau B. nicht, und so war ich regelmäßig derjenige, der am Ende der Aufführung auf die Bühne ging und die Eltern um eine kleine Spende bat. Jedenfalls bekam ich so die einzigen spontanen Lacher der Zuschauer während des gesamten Stücks. Wollte ich eine gute Note haben, musste ich anfangen, das Flötenspiel zu lieben. Doch eine Vier im Zeugnis, keinerlei Aussicht, jemals im Musikunterricht hinter einem Instrument Platz zu nehmen, das mir lag, und als sechsjähriger Steppke regelmäßig gesagt zu bekommen, wie furchtbar untalentiert ich doch sei, verhagelte mir die Lust an der Musik – gründlich. Das Gitarrespielen gab ich auch wieder auf – eine Entscheidung, die ich bis heute bereue. Ich, der Schüler, war der Verlierer.
Doch das wollte ich nicht sein. Es gab zwei Möglichkeiten: A. Ich konnte mich total verweigern, oder B. Ich konnte mich anpassen. Ich entschied mich für Möglichkeit B. Diese Entscheidung traf ich natürlich nicht rational, sondern emotional. Ich wollte nicht ständig ausgegrenzt werden, und dachte, dass Frau B. mich, wenn ich »lieb Kind« bei ihr werde, wieder in die Gruppe aufnimmt. Diese »Strategie« funktionierte bis zu einem gewissen Punkt. Meine Noten verbesserten sich, je mehr ich zu einem von ihren Roboter-Kindern wurde. Der heimliche Lernerfolg meinerseits bestand darin, dass ich anfing zu glauben, genau auf dem richtigen Weg zu sein. Schließlich gab es ja ein klares Bestrafungs- und Belohnungssystem – Frau B. hatte immer recht. Strafte sie, hatte man selber unrecht. Die Welt war geordnet, doch zu den Klassenbesten gehörte ich trotz meiner Verhaltensänderung nicht. Nicht nur ich, sondern auch ein großer Teil meiner Freunde spürte, dass Frau B.s Verhalten nicht vertrauenswürdig, sondern willkürlich war. Die analytische Fähigkeit mag Kindern in dem Alter zwar fehlen, aber bei vielen ist die emotionale Sensorik feiner als die der Abhörstationen während des Kalten Krieges. Wir konnten das zwar nicht artikulieren, aber wir spürten deutlich, dass sie ganz bestimmte Kinder bevorzugte – einmal über die Notenvergabe und zum anderen durch ihr Verhalten. Gab eines ihrer Roboter-Kinder eine richtige Antwort, wurde es mit Lob überschüttet, während die »unzumutbaren« Kinder für richtige Antworten weniger stark belohnt wurden.
Ihre Launen neigten zu starken Schwankungen, besonders dann, wenn sie feststellen musste, dass ihre pädagogischen Kniffe und Tricks nicht mehr den gewünschten Effekt erzielten. Ihre Hilflosigkeit schlug dann in Aggressivität um, was uns die ersten zwei Schuljahre einschüchterte. Viele von uns – ich eingeschlossen – hatten bald Angst, in ihren Unterricht zu gehen, und dementsprechend »hoch« war die Motivation. Doch nach und nach wuchs auch der Zweifel an ihrer Kompetenz. Es galt immer nur eine Meinung und es gab nur eine richtige Lösung, die von Frau B. – alles andere wurde wie mit einem Rasenmäher kurz gehalten.
In den meisten Schulklassen wird man über die Mehrzahl der Themen keine einheitliche Meinung antreffen, doch fragt man danach, wer von den Lehrern am bösartigsten ist, ist sich die Gemeinschaft schnell einig. Und einig sollten wir uns bald sein. Wir wuchsen heran und allmählich wurde uns klar, dass Frau B. für uns nicht die richtige Klassenlehrerin war. Wir rebellierten – einzigartig in der Geschichte der Schule –, traten Frau B. als Klasse gegenüber, ohne Eltern, und konfrontierten sie mit ihrem eigenen Verhalten, wir beschwerten uns, wir weigerten uns, unter den Bedingungen weiterzumachen. Sie brach in Tränen aus und erklärte, dass sie es doch nur gut mit uns gemeint habe. Sie versprach Besserung und wir glaubten ihr. Zwei Wochen lang schaffte sie es, sich zusammenzureißen, doch danach brachen die alten internalisierten Verhaltensmuster wieder durch – die Macht der Gewohnheit war zu stark und wir litten unter ihren Lehrmethoden bis zum Ende der dritten Klasse.
Von Klasse 3 bis 6 bekamen wir Frau P. als Klassenlehrerin, mit der wir großes Glück hatten. Sie war das genaue Gegenteil von Frau B. – allein daran schon zu erkennen, dass sie spontan lachen konnte. Doch mit
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