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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Zahnbehandlung.
    Offenbar war es
schwierig, irgendwelche Spuren zu sichern, denn seit gestern waren gut vierzig
Zentimeter Neuschnee vom Himmel gerieselt. Von einem Auto oder einem sonstigen
Fahrzeug gab es keine Abdrücke. Auch Schuhe, vielleicht feste Bergstiefel,
passend zur Outdoor-Hose, waren nicht zu entdecken.
    Volker Reiber kam
auf seinen Lederslippern auf Jo zugeschlittert – auch ihm hätten Bergstiefel
nicht geschadet. »Wann, sagen Sie, haben Sie ihn gefunden?«
    Jo gab sich Mühe,
exakt zu sein. »Es muss gegen elf gewesen sein, als Falco …«
    »Von einem Falco
weiß ich nichts«, blaffte Reiber sie an.
    »Falco ist ein
Fjordwallach -«
    »Ein was?«,
unterbrach sie Reiber.
    »Ein Pony aus
Norwegen, ein Fjordpferd eben, und der hat an dieser Jacke gezogen.« Sie
deutete auf den Anorak, der auf einer Plane mit einer Nummer versehen dalag.
»Die Jacke fiel dadurch zu Boden, mit ihr der Schnee vom Baum, und das gab den
Blick auf Herrn Rümmele frei. Sonst hätte ich ihn nie gesehen.«
    Volker Reiber
stöhnte: »Ein Pferd hat die Spuren vernichtet.« Er sprach »Pferd« aus wie den
Namen einer hoch ansteckenden Krankheit.
    Reiber rutschte von
dannen, die Hose vom Schneestapfen wie ein Autowischleder um die Beine
geklatscht, brüllte weiter Befehle und rief schließlich zum Abmarsch.
    Zum zweiten Mal
suchte der Jeep seine Spur holpernd durch den Schnee, Reiber saß diesmal vorne.
»Können wir Ihre gute Stube zur Befragung verwenden?«, versuchte er es jetzt
auf die freundliche Art.
    Der Anwander meinte
nur: »Jo mei …«
    Als sie über den Hof
gingen, zog es Volker Reiber die Füße weg, und der Bauer bekam ihn gerade noch
am Ärmel zu fassen. Ein »Danke« kam dem Augsburger Kommissar jedoch nicht über
die Lippen. Die Karawane bezog die Küche, wo Zenta an der Spüle stand.
    Volker Reiber wies
alle an, Platz zu nehmen. »Wie spät ist es also beim Eintreffen von Frau
Kennerknecht und dem Tier auf dem Hof gewesen?«, fragte er den Anwander und
sprach dabei jedes Wort so betont aus, als würde er mit einem Taubstummen
reden, der von den Lippen lesen muss.
    »Grad elfe durch, I
schaufel immer um elfe, und weit war i noit«, brummte der Anwander.
    »Er schaufelt immer
um elf Schnee und hatte gerade erst begonnen«, übersetzte Gerhard.
    »Das ist doch keine
Angabe«, entgegnete Reiber ungehalten.
    Da kam es unerwartet
von Zenta: »Isch es scho. I hab au grad zum Kocha agfanga, und i war au noit
weit.«
    »Hier läuft vieles
in geregelten Bahnen«, mischte sich Jo ein, »danach können Sie die Turmuhr
stellen.«
    Volker Reiber
bedachte sie mit einem langen Blick und fragte zuckersüß: »Und Sie, Frau
Kennerknecht, reiten auch just immer um elf Uhr vorbei und waren auch ›noit
weit‹?«
    »Leider nein, ich
hatte heute frei und habe den schönen Tag genutzt.« Jos Stimme war ein
Eishauch.
    Volker Reiber setzte
ein Lächeln auf. »Am Montag haben Sie frei? Soso, haben Sie denn sogar einen
eigenen Salon?«
    Es herrschte ein
kurzes Schweigen, dann platzte Gerhard mit einer Lachsalve heraus, die er nur
durch hektisches Schlucken wieder unter Kontrolle brachte.
    Jo sah verwundert zu
ihm hinüber, dann begriff sie. Ein Salon? Der Lederstrumpf hielt sie für eine
Friseuse! Sie fasste sich. »Ich glaube, wir wurden uns noch nicht richtig
vorgestellt: Doktor Johanna Kennerknecht, Doktorin der Soziologie,
geschäftsführende Direktorin des lokalen Tourismusverbands.« Sie konnte es sich
nicht verkneifen hinzuzufügen: »Meine freien Tage gebe ich mir selbst, und da
ich gestern, am Sonntag, noch spät auf einem Meeting war, war ich so frei …«
    Im Raum hing die
Stille schwer wie ein nasses Handtuch. Jo horchte ihren Worten nach: Frau
Doktor Johanna Kennerknecht, Tourismusdirektorin. Klang großspurig. Der
verhasste Name Johanna war eine Erbschaft von Großmama Johanna Maria Kunigunde.
Es hätte also viel schlimmer kommen können: Kunigunde Kennerknecht!
    Der Doktor
entstammte einer bahnbrechenden Dissertation in Soziologie an der
Ludwig-Maximilians-Universität München über »Die Soziologie des Berufssurfers –
eine Standortbestimmung«. Das buchte Jo nun eher unter Jugendsünde ab,
inklusive der intensiven und intimen Recherchen am Gardasee an gleich zwei
blondlockigen Berufssurfern. Die Note für das Werk war im »Na ja«-Bereich anzusiedeln,
aber im Rigorosum war es Jo gelungen, den Professor durch Gegenfragen und
Charme aus dem Konzept zu bringen. Sie hatte mit Halbwissen brilliert und war
damit

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