Schutzwall
perfekt, mit einem nur ganz leichten Einschlag jenes Dialekts, der hier gesprochen wurde. Dill fragte sich, ob sie eine Therapie bei einem Logopäden gemacht hätte.
Die übrigen Teile ihres Körpers, der in einem dunklen Rock und einer in Bonbonfarben gestreiften Bluse mit weißem Kragen und Rüschenärmeln steckte, schienen tief gebräunt, straff und kräftig, beinahe athletisch. Er versuchte sich zu entscheiden, ob sie eine Läuferin, Schwimmerin oder Tennisspielerin wäre. Er war sich einigermaßen sicher, daß sie nicht Golf spielte.
Dann fiel ihm noch auf, daß sie überaus dunkelblaue Augen hatte, so dunkel, wie blaue Augen nur sein können, ohne ins Violette zu spielen, und sie kniff sie immer ein bißchen zusammen, wenn sie zu etwas hinschaute, das weiter weg war. Ihr Haar war von einem hellen Braun, das von blonden Strähnen durchzogen war. Sie trug es in einer Façon, die, so glaubte jedenfalls Dill, Pagenfrisur genannt wurde. Ein Stil, der, wie ihn einmal jemand aufgeklärt hatte (wer? Betty Mae Marker?), wieder groß im Kommen war und sein Comeback schon gehabt hatte und bereits wieder unmodern wurde.
Anna Maude Singes Gesicht war von ovalem Schnitt, und ihre Augenbrauen waren eine Spur dunkler als ihr Haar. Sie hatte die zarte Andeutung einer Stupsnase, was sie aussehen ließ, als wäre sie entweder scheu oder etwas schnippisch – oder beides. Dill fand, daß oft beides zutraf. Ihre Lippen waren voll, der Mund ziemlich breit, und als sie lächelte, bemerkte er, daß sich ihre Zähne der liebevollen Pflege eines guten Zahnarztes erfreuten. Sie hatte einen langen, schlanken Hals, den Dill reizvoll fand, und er fragte sich, ob sie wohl jemals getanzt hätte.
Es war der Hals einer Tänzerin.
Nachdem die Getränke gebracht worden waren, wartete er, bis sie von ihrem Drink genippt hatte, und fragte dann: »Haben Sie Felicity länger gekannt?«
»Ich kannte sie ganz gut von der Universität her. Aber als sie ihren Abschluß machte, ging ich an die juristische Fakultät. Und dann, als ich hierher zurückkam und meine Kanzlei aufmachte, war sie eine meiner ersten Klientinnen. Ich habe ihr Testament aufgesetzt; vermutlich war sie damals nicht älter als fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre, aber sie war ja gerade zur Mordkommission versetzt worden – nun, sie dachte eben, daß es vielleicht ganz gut wäre, ein Testament zu machen.
Und dann, vor ungefähr – oh, ich würd’ sagen, vor etwa sechzehn, siebzehn Monaten kaufte sie ihr Duplex, und ich half ihr dabei, aber inzwischen waren wir schon gute Freunde geworden. Sie vermittelte mir auch ein paar Klienten – meistens Cops, die mich bei einer Scheidung brauchten –, und sie hat sehr, sehr viel über Sie erzählt.
Deshalb weiß ich auch, daß man Sie in der Grundschule Pickle genannt hat, und dann all das andere.«
»Hat sie je über ihre Arbeit gesprochen?« fragte Dill.
»Manchmal.«
»Hat sie zuletzt an einer Sache gearbeitet, die jemanden veranlaßt haben könnte, ihr eine Bombe ins Auto zu legen?«
Anna Maude schüttelte verneinend den Kopf. »Sie hat mir gegenüber nie irgendwelche Andeutungen gemacht.«
Sie machte eine Pause, nahm einen Schluck und sagte:
»Ich glaube, es gibt da etwas, was Sie wissen sollten.«
»Was?«
»Sie arbeitete für einen Mann namens Strucker.«
»Den Leiter der Kriminalabteilung«, ergänzte Dill, »er hat mich heute morgen angerufen.«
»Nun, die Sache mit Felicity macht ihm ziemlich zu schaffen. Zwei Stunden nachdem sie tot war, ließ er mich kommen, und das erste, was er von mir wissen wollte – noch bevor er mir überhaupt gesagt hatte, daß sie nicht mehr lebte –, war, ob ich die Verwaltung ihres Vermögens übernommen hätte. Nur, daß er sich anders ausdrückte und mich als ›Curatrix‹ bezeichnete.«
Dill nickte anerkennend über dies feinsinnige Zugeständnis an die Gleichberechtigung.
»Ich sagte ihm, ja, das bin ich, und darauf erzählte er mir dann, daß sie tot wäre, und bevor ich auch nur fragen konnte, wie oder warum, oder auch nur ›O mein Gott!‹ hätte sagen können, forderte er mich gleich auf, ihn zu Felicitys Bank zu begleiten.«
»Schließfach?«
Sie nickte. »Na ja, ich war dabei, als sie es öffneten. Ich war ganz verheult und fassungslos über den … den schrecklichen Verlust. Sie holten alles aus dem Fach raus, eins nach dem andern. Da war ihre Geburtsurkunde, dann ihr Testament, dann einige Bilder von ihren Eltern und dann ihr Reisepaß. Sie hatte immer davon
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