Schwaben-Hass
Tote? Zur Massenepidemie führte bisher jedenfalls keine dieser angeblich hochkarätigen Gefahrenquellen.
Wir waren erschüttert über die Kriege in Bosnien, Tschetschenien, im Kosovo, die jahrelang ihre Opfer fanden. Viele tausend Menschen starben, noch mehr wurden verletzt.
Wir erregen uns – vollkommen zu Recht – über die Opfer von Totschlag und Mord. Einige hundert Menschen allein in Deutschland müssen deshalb Jahr für Jahr sterben.
Die USA stecken irrsinnige Summen in die Erforschung und Entwicklung modernster Massenvernichtungswaffen. Die Waffenkonzerne des Landes übertreffen einander mit immer kühneren Prognosen neuer Zerstörungspotentiale. Das Geld und den Eifer könnten sie sich sparen, die wirksamsten Waffen aller Zeiten sind längst erfunden und erfolgreich im Einsatz.
Bei den Atombomben-Abwürfen der USA in Hiroshima und Nagasaki starben jeweils mehr als 100.000 Menschen. Wir sehen die Augen der Militärlobbyisten buchstäblich leuchten angesichts solcher Erfolgsmeldungen. Im Vergleich zu den Waffen, von denen hier die Rede sein soll, waren diese Atombomben jedoch jämmerliche Versager.
So absurd es klingt, das größte Vernichtungspotential, das die Menschheit je entwickelte, liegt im Autoverkehr. Mindestens 140 Millionen Menschen fielen ihm weltweit bisher zum Opfer, annähernd 40 Millionen wurden von Autos getötet, etwa 100 Millionen wurden schwerst verletzt oder verkrüppelt, Zahlen, die uns längst zur Besinnung rufen müssten.
Besinnung? Autofahren, das ist das Symbol von Freiheit, Bequemlichkeit und Vergnügen – den wichtigsten Attributen unserer Spaßgesellschaft.
Leider spiegeln diese Eigenschaften nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite wartet mit düsteren Überraschungen: Keine andere Erfindung, nicht die Atombombe, Wasserstoffbombe, Nukleartechnologie, Genmanipulation, nicht einmal die hinterhältige Verminung ganzer Regionen kostete im Verlauf der Menschheitsgeschichte so vielen Individuen Gesundheit und Leben wie das Auto – obwohl es nicht einmal 150 Jahre alt ist. Und die Zahlen zeigen weiter aufwärts. Von Jahr zu Jahr werden mehr Menschen Opfer dieser faszinierenden Technologie – mehr als drei Millionen weltweit innerhalb von zwölf Monaten. Ein Geschehen, das unaufhörlich läuft, stillschweigend als naturgegeben hingenommen wird und doch längst die Ausmaße einer weltumspannenden Seuche, einer Katastrophe, eines Krieges angenommen hat.
Ein stiller Krieg, dessen sich nur eine Minderheit bewusst ist, der auch in unserem Land seine Opfer fordert: An die 500 Menschen werden von Autos verletzt – 50 getötet oder lebenslänglich verkrüppelt – jeden Tag.
3er BMW, C-Klasse Mercedes, Golf, Audi A 4 – Begriffe, die wahren Männern ihre Herzen höher schlagen lassen. Wurden wir jemals darüber informiert, wie vielen Menschen diese wunderbaren Kreationen ihr Herz zum letzten Mal schlagen ließen?
In Zusammenarbeit mit den Verkehrsabteilungen aller Polizeidirektionen in Deutschland wurden von mir in den letzten Monaten alle Unfallberichte, bei denen Menschen schwerst verletzt oder getötet wurden, ausgewertet, um das beteiligte Fahrzeug zu ermitteln. Da diese Arbeit kontinuierlich weitergeführt wird, ist es der tageszeitung möglich, nicht nur diese erste Jahresbilanz Deutschlands erfolgreichster Waffen zu veröffentlichen, sondern Monat für Monat die jeweils neusten Ergebnisse zu präsentieren. Vielleicht kann uns dieses Unterfangen dazu helfen, seltener zu diesen Waffen zu greifen und die Politiker aufzufordern, Alternativen zu fördern.
Auch die 3. Seite der tageszeitung war voll von demselben Thema in Beschlag genommen. Unter der dicken Überschrift Deutschlands erfolgreichste Waffen fand sich eine minutiöse Auflistung aller in Deutschland gebräuchlichen Fahrzeugtypen, mit der genauen Anzahl der im vergangenen Jahr von ihnen getöteten und schwerverletzten Menschen. Ob Mercedes C-Klasse, VW-Golf, 3er BMW, Opel-Astra, Ford Focus, Audi A4, Fiat Punto, Renault Twingo oder Toyota Corolla, nicht ein Modell fehlte, und jedes von ihnen hatte im vergangenen Jahr mehreren hundert oder gar tausend Menschen Gesundheit oder Leben zerstört. Nicht anders die anschließend angefügte Tabelle für den Januar des neuen Jahres: Auch hier wieder die Aufzählung des geläufigen Fahrzeugtypen mit Hunderten von getöteten Menschen.
Die tageszeitung benötigte die gesamte 3. Seite, um alle Modelle mit samt ihrer »Erfolgszahlen« darstellen zu können.
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