Schwaben-Herbst
gearbeitet hatten. Pizza, frischer Traubenmost und Wein, nichts ließ vermuten, was dann geschah. Söder kam auf die Idee, Sattler war einverstanden, was sollte ich dagegen haben? Auch, dass Söder den Vorschlag mit seinem Fernsehgerät machte – nach ein paar Gläsern Most und Wein ein spannender Film – warum nicht?
Was dann aber geschah, sprengt alles, was ich je erleben musste. Es war kein spannender Film, es war ein widerlicher, brutale Gewalt verherrlichender Horror. Frauen als Opfer, Männer auf der Jagd nach ihrer Lust – ersparen Sie es mir, über den Inhalt zu reden, es ist zu widerwärtig. Was der Auslöser war, der Funke, der das Pulverfass entzündete?
Söder war betrunken, hatte viel zu viel Wein konsumiert, Sattler war ebenfalls bis zum Hals abgefüllt. War es, dass bei einer ungeschickten Bewegung meine Hose riss? Der Film hatte sie aufgeputscht, angeturnt, völlig verändert – es hat keinen Sinn, rationale Erklärungen dafür zu suchen, was die beiden in lüsterne Bestien verwandelte, ich will es auch gar nicht. Natürlich werden Psychologen hunderttausend differenzierte Erklärungen finden – zu viel Alkohol, zu warme Temperaturen, zu hoher Luftdruck in dieser Nacht – ich musste es erleiden, mir hilft all das nicht weiter. Kaum war der widerliche Film angelaufen, hatte es mit anzüglichen Bemerkungen begonnen – wo es endete, ahnen Sie selbst.
Mein Leben war zerstört, jeder Wille gebrochen. Niemand kann mir mehr helfen, es geht nicht. Ich habe mich über Wochen, ja Monate hinweg bemüht. Es hat keinen Sinn. Ich brach mein Studium ab, floh vor Achim und der WG – und dann sah ich plötzlich Sattler vor mir, in einer alten Zeitung, die jemand zum Einpacken verwendet hatte, Sattler, wie er leibt und lebt. Andreas Sattler Sieger beim Stuttgarter Schachturnier. In diesem Moment wusste ich, was ich zu tun hatte.
Ihn aufzuspüren, war nicht schwer. Ich besorgte mir eine Gesichtsmaske, eine Perücke, dazu die Säure und die Waffe aus dem Arsenal meines Vaters. Er ist viel beschäftigter, ständig gestresster Chef einer Sicherheitsfirma, hat den Verlust der Pistole bis heute wahrscheinlich nicht bemerkt.
Kaum hatte ich Sattler erledigt, stieß ich auf den großen Bericht in der Zeitung. Martin Grauselmaier und seine Partei für ihre großen Verdienste für die Einführung des Privatfernsehens geehrt. Über eine ganze Seite hinweg führten sie aus, wie er sich engagiert hatte. Er sollte die Belohnung für seine großen Verdienste erhalten. Für die schlimmste Nacht meines Lebens. Dann sah ich die Ankündigung seines Vortrags, glaubte, jetzt völlig übergeschnappt zu sein. Lesen statt glotzen – Bücher statt Bildschirm. Ausgerechnet der!
In Köngen traf es ihn, Sie wissen Bescheid. Ich fuhr mit seinem Wagen zum Bahnhof nach Wendlingen, nahm dort den Zug. Auf dem Weg nach Hause, ich war gerade dabei, Maske und Perücke abzulegen, wurde ich Opfer der nächsten Bestie, bevor ich zur Waffe greifen konnte. Wie Offenbach mich zugerichtet hat, können Sie nur ahnen. Welche Schmerzen ich bis zu diesem Moment erleide, bleibt Ihnen verborgen. Ich muss mich bei Herrn Bareiss bedanken, dass ich überlebte, richten Sie es ihm bitte aus. So blieb mir die Möglichkeit, diesen Verbrecher zu erledigen. Zum Glück hatte ich sein Autokennzeichen gesehen.
Wie ich an Söder kam? Ich dachte mir, dass er so unverfroren sein würde, wieder dort aufzutauchen, wo er den Herbst schon einmal verbrachte. Sie sehen, ich habe ihn richtig eingeschätzt. Meine Attacke musste auf den ersten Anhieb glücken. Ich hoffe, sie hat es getan. Ich hatte nämlich nur zwei Kugeln dabei.
Sie wissen, weshalb.«
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