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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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hatte er die Rückfront des Finanzamts erreicht. Er passierte die Leonhardskirche, kam an der Polizeidirektion vorbei. Zwei Autos bogen in die Kaiserstraße ein, sonst war alles ruhig, nicht ein einziger Uniformierter zu sehen. Wieso auch? Was sollten sie auf der Straße? Ihn überprüfen? Weshalb? Noch war nichts geschehen.
    Ein Sportwagen raste mit quietschenden Reifen in die Charlottenstraße, riss ihn aus seinen Gedanken. Welcher Verrückte wollte da wieder sein pervertiertes Verständnis von Männlichkeit beweisen?
    Hinter der stillgelegten Bahnlinie stieg die Straße spürbar an. Er starrte in die Höhe, glaubte, die Umrisse der mehr als 700 Meter hoch in den Himmel ragenden Achalm, des Reutlinger Hausberges, zu erkennen. Die Häuser links und rechts der Straße verschwanden jetzt hinter mannshohen Zäunen und weitläufigen Gartenanlagen. Nur ab und an versprachen vereinzelte Lichter noch Leben. Der späte Passant fiel niemandem auf.
    Zwei Häuser vor seinem Ziel wurde er allerdings doch wahrgenommen. Eine ältere Frau trat mit ihrem Mülleimer gerade in dem Augenblick vor die Tür, als er draußen vorbeilief. Sie starrte überrascht zur Straße, beeilte sich, ihre Arbeit zu Ende zu bringen, verschwand wieder im Haus, drehte sorgsam den Schlüssel um.
    Sekunden später läutete es bei einem ihrer Nachbarn.

2.
    »Nicht geboren zu werden ist unbestreitbar die beste Lösung.« Kriminalhauptkommissar Steffen Braig nahm die Tasse auf, die der Mann vor ihm auf den Tisch gestellt hatte, hielt sie sich prüfend vor die Nase. Kleine graue Wolken lösten sich von der Oberfläche der dunklen Flüssigkeit, stiegen in die Höhe, verschwanden im Nichts. Binnen weniger Sekunden verbreitete sich der aromatische Duft im ganzen Raum.
    »Ihnen bleibt wohl nur Zynismus, das ganze Elend zu verarbeiten?«, sagte sein Gegenüber.
    Braig nippte vorsichtig am Kaffee, spürte, dass er heiß und kräftig war, nahm einen vollen Schluck. Er ließ ihn langsam über die Zunge gleiten, versuchte, sich von dem frühmorgendlichen Schock zu erholen, Abstand zu dem zu gewinnen, was er vor wenigen Minuten wieder hatte ansehen müssen. Der Kaffee war milchig braun, heiß und kräftig. Genauso, wie er es zu dieser frühen Stunde liebte. »Nur dann, wenn das Leben absolut nicht zu ertragen ist«, antwortete er.
    Konrad Umgelter schaute müde zu ihm hinüber. Er war immer noch bleich wie ein erschöpfter, von langer Krankheit gezeichneter Mensch, saß in einen dunkelgrünen Hausmantel gehüllt mit angezogenen Beinen auf dem breiten Sofa, umklammerte seine Kaffeetasse mit der linken Hand. »Das dürfte bei Ihrem Beruf ein fast alltäglicher Zustand sein.«
    Braig wusste nicht, was er antworten sollte. Ein fast alltäglicher Zustand? Er hatte sich verändert in den letzten Jahren, ohne Zweifel, war ruhiger, bedächtiger geworden. Auch zynisch? Er wusste es nicht. Nüchterner, sachlicher. Vielleicht nicht mehr so sensibel. Der Abstand zwischen ihm und dem Elend, das sich fast jeden Tag vor ihm türmte, war größer geworden. Er ließ es nicht mehr so nahe an sich heran, war nicht länger bereit, sich voll und ganz mit allen Sinnen dem Leid der Opfer auszuliefern. Ja, er hatte Illusionen verloren, viele Illusionen, Teile seiner jugendlichen Ideale, unter deren Ägide er einst begonnen hatte, die Welt ein Stück menschlicher zu machen – seiner damaligen Auffassung zufolge jedenfalls. Aber war das wirklich ein Wunder bei den ständigen Belastungen, bei den Mengen von Morast, in denen er Tag für Tag wühlte? »Am frühen Samstagmorgen zehn vor sechs aus dem Bett gejagt zu werden, nur um mir das anzusehen, lässt sich nur mit Zynismus ertragen.«
    Sie hatten die Frau bereits ins Ludwigsburger Klinikum transportiert, als er mit vom Schlaf verschleierter Miene am Ort des Überfalls angelangt war. Die üblen Verletzungen, die ihr der unbekannte Täter zugefügt hatte, waren ihm dennoch sofort aufgefallen. Zuerst auf den Fotos der Beamten der Schutzpolizei, die vor ihm am Tatort eingetroffen waren, später dann im Krankenhaus, wohin er sich eines Gesprächs mit der Überfallenen wegen vergeblich bemüht hatte. Das Gesicht des Opfers von Schlägen und Würgemalen übersät, die Wangen, die Partien um die Augen und die Stirn zerkratzt, Teile der Kleidung zerrissen und mit Blut durchtränkt. »Der hat wie ein Wahnsinniger auf die Frau eingeschlagen«, hatte Umgelter erklärt, »ich zittere jetzt noch am ganzen Leib, wenn ich nur daran denke.«
    Braig war

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