Schwaben-Rache
nannte, glänzten wie die Böden in der Putzmittelreklame im Fernsehen.
Die Luft überraschte mit dem Duft frischer Pflanzen, der gewohnte Mief aus Abgasen und Gummiabrieb schaffte sich nur langsam wieder Raum. Ein für die Jahreszeit zu kalter Wind fegte durchs Neckartal bis in die Straßen Bad Cannstatts.
Kommissar Steffen Braig schlug den Kragen seiner Jacke hoch, nachdem er die Stadtbahn verlassen hatte. Vor ihm strebte ein breiter Menschenstrom Büros und Geschäften zu. Eine dicke, in einen warmen Mantel gehüllte Frau kämpfte sich ruckartig über den Gehweg, hin und her gezerrt von einem mittelgroßen Hund. Sie schrie der Promenadenmischung derbe Flüche und immer neue Drohungen hinterher, die den Vierbeiner offensichtlich wenig beeindruckten.
Braig machte einen großen Bogen um Frau und Hund, bemerkte dann, was den Köter zu seinen emsigen Bemühungen veranlasste: Eine dicke, struppige Katze saß mit steif aufgerichtetem Schwanz vor einer geschlossenen Tür und fixierte die drohende Gefahr mit großen Augen.
Braig überlegte, ob er einschreiten, den Hund verjagen sollte, als sich die Tür öffnete und die Katze blitzschnell ins Innere des Hauses verschwand. Der Köter bellte sich in nervtötendem Stakkato den Frust aus dem Leib.
Steffen Braig beschleunigte seine Schritte, ließ das Gekläffe hinter sich. Das Gebäude des Landeskriminalamtes erhob sich mehrere Stockwerke hoch vor ihm. Kriminalrat Gotthold Gübler, sein Vorgesetzter, hatte ihn telefonisch mit aufgeregter Stimme über den nächtlichen Vorfall informiert. Wenn der Alte sich persönlich zu so früher Stunde in den heiligen Hallen des Amtes sehen ließ, musste es sich um ein Ereignis besonderer Brisanz handeln; ohne schwerwiegenden Anlass war ihm das nicht zuzumuten.
Braig betrat das LKA, fuhr mit dem Lift nach oben, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Schläfen, um Kopfschmerzen und Müdigkeit zu vertreiben. Der Abend im
Insomnia
, seiner Lieblingskneipe am Rande der Stuttgarter Innenstadt, hatte sich in die Länge gezogen, von mehreren Gesprächsrunden und Cocktails begleitet. Braig spürte das Pochen des Blutes in seinem Schädel, versuchte, sich zu erinnern, wann er seine nächtliche Tour beendet hatte, bis Güblers Stimme ihn aus seinen Gedanken riss.
»Mein Gott, sind das jetzt wirklich grüne Terroristen? Reicht es nicht, dass uns linke und rechte Spinner seit Jahren mit Gewalt überziehen? Nach RAF, Skinheads und Autonomen jetzt auch noch Grüne? Braig, wenn wir die Sache nicht schnell klären, bilden die eine Sonderkommission«, donnerte Gübler ihn an, »dann haben wir wochenlang all diese unfähigen Besserwisser am Hals. Sie wissen, was das bedeutet. Sie mit Ihrem Einblick in die Szene!«
»Guten Morgen«, brummte Braig, der seine Tasche ablegte, während er versuchte, sich auf den Vorfall im Wagenburgtunnel zu konzentrieren. »Sonderkommission? Wegen dieser Spielerei?«
»Das kommt von ganz oben, verstehen Sie?«
Braig nahm die Akte in die Hand, überflog irritiert den Text. »Nein, das verstehe ich nicht«, antwortete er.
»Die haben die Hosen gestrichen voll. Von wegen ›neue Form von Terrorismus‹ und so. Da müsse gleich frontal gegengehalten werden, sonst mache sich eine neue Terrorwelle breit. Nicht von links und nicht von rechts, sondern ›grün‹. Klar?«
»Terror?«, meinte Braig spöttisch. »Bloß weil irgend so ein dicker Bonze ein paar Stunden im Tunnel verbringen muss? Die Sorgen wollte ich haben.«
»Das habe ich überhört«, bellte Gübler, »Sie sollten endlich einen Schlussstrich unter Ihre Vergangenheit ziehen!«
Seine kleine Gestalt richtete sich hinter dem Schreibtisch groß auf, das Gesicht vor Zorn rot gefärbt. Er war etwa 1,60 Meter groß, Ende fünfzig, hatte graue, alle paar Wochen sorgsam vom Friseur in Locken gelegte Haare, buschige Augenbrauen, leicht nach außen gewölbte Lippen, eine blasse, fast käsige Haut. Die Farbe seiner Anzüge korrespondierte mit seiner übrigen Erscheinung: Im Sommer wie im Winter in ein kräftiges Grau gewandet, einen ebenso unauffälligen wie unvorteilhaften Ton, der ihn um Jahre altern und seine Gestalt noch kleiner erscheinen ließ. Braig hatte ihn fast nur hinter seinem Schreibtisch thronend in Erinnerung, auf einem speziellen Drehstuhl sitzend, der bis zur äußersten Grenze in die Höhe gezogen war und daher gefährlich instabil nach allen Seiten schwankte.
»Verstehen Sie denn nicht?«, schrie Gübler.
Kommissar Steffen Braig wandte sich genervt
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