Schwaben-Sumpf
wegen des Mordes an ihrem Ehemann festzunehmen.
Sie hatte die Stadtgrenze erreicht, fädelte sich in den abbiegenden Verkehr ein, als ihr Handy läutete. Ein kurzer Blick aufs Display genügte zu erkennen, dass es sich um einen Anruf aus dem Amt handelte. Sie nahm das Gespräch an, hatte Stöhr in der Leitung.
»Frau Neundorf, es ist dringend. Wir haben einen Notruf.«
»Von wem?«
»Ein Herr Meck.«
»Meck?« Sie glaubte, nicht richtig zu hören, wusste nicht, was sie jetzt noch mit dem Mann zu tun haben sollte. »Was will er?«
»Er behauptet, er würde verfolgt und befände sich in Lebensgefahr. Wir haben sofort die Kollegen vor Ort informiert.«
»Wo soll das sein?«
»In Esslingen.«
»Hier?«
»Sie sind gerade dort?«
Neundorf wusste nicht, welche Rolle das spielte, bejahte schließlich die Frage.
»Das ist gut«, erklärte Stöhr, »sehr gut sogar. Meck möchte nämlich unbedingt mit Ihnen persönlich Verbindung aufnehmen.«
Neundorf schwieg überrascht.
»Sind Sie noch in der Leitung?«, fragte der Kollege.
»Ja klar. Was will der Typ von mir?«
»Ich weiß es nicht. Aber es sei dringend. Irgendetwas mit dem Mörder. Er wisse jetzt Bescheid.«
»Na gut«, gab sie nach. »Dann geben Sie mir seine Handynummer.« Sie lenkte das Auto zur Seite, stoppte, gab die Ziffern ein.
»Sie rufen ihn an?«, fragte Stöhr.
»Jaja.«
Sie zögerte kurz, überwand ihren Widerwillen. Meck war sofort in der Leitung.
»Neundorf hier«, meldete sie sich, »anscheinend ist es mir heute ausnahmsweise erlaubt, Sie telefonisch zu belästigen.«
Er ging nicht auf ihre Bemerkung ein, reagierte auch sonst völlig anders, als sie erwartet hatte.
»Hilfe, Hilfe«, hörte sie seine Stimme, »die bringt mich um.« Er kreischte in höchster Erregung, keuchte, rang um Luft.
Das war keine Show, spürte sie, hier ging es um Leben und Tod. »Wo sind Sie?«, fragte sie.
Er benötigte ein paar Sekunden, kam dann noch dazu
»Schreiberweg« oder ein ähnliches Wort von sich zu geben, bevor ein lauter Knall plötzlich das Gespräch beendete. Neundorf schrak zusammen, hielt sich impulsiv die Ohren zu. Irgendetwas war da schiefgelaufen, spürte sie, granatenmäßig schief sogar.
32.Kapitel
Außergewöhnliche Schwaben (1)
Von Thomas Weiss
Georg Elser
Ein außergewöhnlicher oder ein typischer Schwabe? Lange wollte man es nicht wahrhaben, inzwischen sind sich die Historiker einig: Georg Elser machte alles aus eigener Überlegung.
Ein typisch schwäbischer Grübler und Tüftler, 1903 in Hermaringen bei Heidenheim auf der östlichen Schwäbischen Alb geboren, geht er in Königsbronn zur Schule und wird dort als Schreiner ausgebildet. Er bleibt unverheiratet, arbeitet eine Zeit lang in einer Uhrenfabrik in Konstanz. Früh erkennt er die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus, begreift, worauf dieses System hinausläuft, wie viele Menschen ihm zum Opfer fallen werden, wenn niemand dazwischengeht. Seit 1938 hat er nur noch ein Ziel: Den »Krieg zu verhindern«. Daher beschließt er die »Beseitigung des Führers«.
Er studiert die Gewohnheiten Hitlers, stößt bald auf den einen festen Zeitpunkt im Jahr, den der »Führer« immer im Kreis seiner treuesten Gefährten verbringt: Der 8. November im Bürgerbräukeller in München, wo sie ihres gescheiterten Putschversuchs von 1923 gedenken.
Elser beobachtet persönlich den Marsch der »Alten Kämpfer«, entwickelt zu Hause über Monate hinweg einen Zeitzünder und besorgt sich als Saisonarbeiter in einem Steinbruch Schwarzpulver und Sprengkapseln. Im August 1939 zieht er nach München, besucht abends den Bürgerbräukeller und lässt sich fünfunddreißig Nächte lang unerkannt dort einschließen. Nacht für Nacht baut er in die Säule in der Nähe des Rednerpults seine Bombe ein, wartet des Lärms wegen, bis sich alle paar Minuten die Toilettenspülung einschaltet, versucht, die Rundgänge der Nachtwächter zu überstehen. Am 8. November 1939 um 21.20 Uhr detoniert der Sprengsatz wie geplant. Hitler aber ist ausnahmsweise schon dreizehn Minuten zuvor gegangen. Des dichten Nebels wegen nimmt er einen Nachtzug anstelle der sonst üblichen Übernachtung in München, schließlich muss er schnell in die Regierungszentrale zurück, hat er den Überfall auf Frankreich doch für den 12. November 1939 geplant.
Georg Elser wird wegen illegaler Grenzüberschreitung in die Schweiz am selben Abend verhaftet, jedoch erst später in Zusammenhang mit dem Anschlag gebracht.
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