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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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zeugten unübersehbar vom sozialen Abstieg seit der Wende. Verfallende Hausfassaden, Schlaglöcher in Gehwegen und Straßen, Müll und Schmutz in vielen Ecken.
    Neundorf und Steidle brauchten nicht weit zu laufen. Keine fünfhundert Meter vom Bahnhof entfernt die erste Nuttenmeile: Dutzende junger Frauen, vor verblichenen, einstmals ockergelben Fassaden gelangweilt auf den Gehwegen lümmelnd. Unzählige Autos mit fast ausnahmslos deutschen Kennzeichen im Schritttempo auf den Straßen davor. Ab und an stoppte eines der Fahrzeuge, die Beifahrertür wurde geöffnet, der Fahrer streckte seinen Kopf vor, winkte, ein Mädchen stieg ein.
    »Samstagmittag in der Kleinstadt«, meinte Steidle, »Frau Kommissarin wissen Bescheid, wo was abgeht.« Sie trug die Videokamera in einem kleinen Rucksack verborgen auf der Brust, richtete das Objektiv in dem Moment auf das Autokennzeichen und den Fahrer, wenn eine Frau in den Wagen stieg.
    Der Strich zog sich durch die halbe Stadt, okkupierte Straße um Straße. Nach einer halben Stunde gemütlicher Ortsbesichtigung hatten sie sich fast daran gewöhnt. Kurzberockte junge Frauen, halbnackte Mädchen, anhaltende, ihre Ware aufnehmende deutsche Autos. Kennzeichen aus Bayern, Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg.
    Das spezielle Milieu dagegen war für Ungeübte erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Ansammlungen blutjunger Mädchen in knapp sitzenden, eigenhändig mit der Schere zurechtgeschnittenen Jeans, die halben Pobacken entblößend. Zehn-, elf-, zwölfjährige Kinder, von Drogen gezeichnet, die Arme von Einstichen übersät, ab und an in eines der unmittelbar neben ihnen haltenden Fahrzeuge steigend. Erdgeschosswohnungen mit deutlich zur Schau gestellter Kinderkleidung in den Fenstern oder leeren Kinderwagen vor der Tür, direkt davor parkende Autos mit deutschen Kennzeichen, streng auf den Boden blickende, von ihren Autos in die Häuser wechselnde Männer. Am Straßenrand kräftige, aggressiv um sich blickende Muskelprotze, kleine, halbbekleidete Mädchen an der Hand, scharenweise Autos, die im Schritttempo vorbeifuhren.
    »Du kannst nichts dagegen unternehmen?«, fragte Claudia Steidle.
    »Deine Bilder«, antwortete Katrin Neundorf, »die einzigen Beweisstücke.«
    Wie waren diese Menschen beschaffen?
    »Siehst du das?«, fragte Steidle.
    Neundorf starrte nach vorne.
    Ein kräftiger Typ mit dem aggressiven Blick stieß sechs, sieben Meter vor ihnen mitten auf der Straße, eines der kleinen, vielleicht 5 oder 6 Jahre alten Mädchen in einen Wagen, ein großes Fahrzeug mit offener Beifahrertür, – einen großen blauen Geldschein dafür kassierend. Neundorf sah die trostlos, apathisch wirkenden Augen des Kindes, das sich ohne Gegenwehr in sein Schicksal fügte, sich nicht sträubte, nicht einmal eine Träne vergoss. Dann fuhr das Auto schnell davon.
    »Hast du das Kennzeichen?«
    Es war ein S, ein großes, einzeln stehendes dunkles S auf weißem Grund.
    Neundorf spürte Wut, nur noch Wut.

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