Schwach vor Sehnsucht
hatte.
Sie war offensichtlich gut erzogen, die kühle, distanzierte Ausdrucksweise hatte sie sich zweifellos an einer Privatschule angeeignet, und höchstwahrsche inlich waren ihre Sachen von demselben Designer wie die seiner Frau. Nur dass sie Moira niemals so gut stehen würden!
Ihm wurde klar, dass Joanna Radcliffe nicht wie die anderen Autorinnen war, die er in seinem Büro empfing. Sie sah aus, als sollte sie ihr Leben mit Teegesellschaften und exklusiven Dinnerpartys verbringen, Wohltätigkeitsveranstaltungen organisieren und die Zeit vertrödeln, während ihr Mann das Geld verdiente. Trotzdem machte sie den Eindruck einer sehr disziplinierten Dame, die nur Verachtung für solche unnützen Dinge übrig hatte. James’
Neugier wurde immer größer.
“Ja, wir wollen das Buch herausbringen, Mrs. Radcliffe.” Er war jetzt selbst kühl und reserviert. “Aber wir erfahren gern ein bisschen über unsere Autoren.”
“Warum?”
“Warum?” Allmählich fragte er sich, wer hier der’Verleger und wer die angehende Autorin war! “Normalerweise machen wir auf der Rückseite des Umschlags einige Angaben über den Autor.”
Joanna Radcliffe schüttelte den Kopf, bevor James Colnbrook den Satz überhaupt beendet hatte. “Das möchte ich nicht”, sagte sie hochmütig. “Und die Geschichte wird nicht unter meinem richtigen Namen erscheinen.”
“Nicht unter … Warum?” James Colnbrook runzelte überrascht die Stirn. Die meisten Leuten sehnten sich danach, ihren Namen auf einem Buchdeckel zu sehen.
“Es wäre mir einfach lieber.”
Er erkannte, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde. “Okay”, sagte er seufzend, “wir finden sicher einen, der Ihnen gefällt, aber …” Joshua Radcliffe! Natürlich, jetzt erinnerte er sich.
James Colnbrook sah die junge Frau plötzlich mit anderen Augen an. War sie etwa mit dem bekannten Joshua Radcliffe verheiratet? Das konnte doch wohl nicht sein. Der Mann war ein Spezialist aus der Harley Street, ein teurer obendrein. Er sollte es wissen, schließlich hatte er erst vor kurzem die Rechnung für Moiras Operation bezahlt! Aber der Arzt musste viel älter als Joanna Radcliffe sein. Nicht, dass er ihm jemals begegnet war. Moira hatte sich allein um alles gekümmert. Er gehörte zu den Menschen, die weder Ärzt e noch irgendetwas ertragen konnten, was mit ihnen zu tun hatte. Seine Frau hatte ihm die Hölle heiß gemacht, weil er sie nur zwei Mal in der Klinik besucht hatte.
Wer in der Harley Street eine Praxis hatte, musste mindestens in den Dreißigern oder Vierzigern sein. Hatte der Mann vielleicht einen Sohn, der auch Joshua hieß und mit dieser jungen Frau verheiratet war?
Joanna war sich der Neugier des Verlegers nicht bewusst. Sie sah auf ihre goldene Armbanduhr. “Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen und muss jetzt gehen.”
“Oh, normalerweise lade ich neue Autoren zum Mittagessen ein…”
Sie nahm ihre Handtasche und stand auf. “Tut mir Leid. Ich möchte nicht zu spät kommen.”
Da sie sehr klein war, trug sie hohe Absätze, um sich größer zu machen.
James Colnbrook stand ebenfalls auf. Er war sichtlich verärgert. Groß, dunkelhaarig, noch immer gut aussehend und distinguiert, war er nicht gewohnt, von einer Frau abgewiesen zu werden.
Joanna konnte er jedoch nicht beeindrucken, weil sie sich mit großen, distinguierten Männern auskannte. Schließlich war sie mit einem verheiratet.
“Wann sehen wir Uns wieder?” fragte James.
Sie war schon an der Tür. “Ihre Sekretärin kann mich ja anrufen.”
“Aber…”
“Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Colnbrook. Und ich werde darüber nachdenken, noch mehr Bücher zu schreiben. Auf Wiedersehen.” Joanna ging mit hoch erhobenem Kopf hinaus.
James Colnbrook sank verwirrt zurück in seinen Sessel.
Auf dem Weg nach draußen nickte Joanna der Sekretärin kühl zu. Vor dem Gebäude hielt sie ein Taxi an und ließ sich zu dem Restaurant bringen, in dem sie immer mit ihrer Mutter zu Mittag aß.
Ein Buch von ihr würde erscheinen! Sie, Joanna Proctor Radcliffe, hatte ein Kinderbuch geschrieben, das gut genug war, um veröffentlicht zu werden! Jahrelang hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie nichts weiter als Joshuas Frau war. Jetzt konnte sie endlich von sich behaupten, etwas ohne seine Hilfe oder seinen Einfluss getan zu haben. Viel verdienen würde sie mit dem Schreiben nicht. Darauf hatte James Colnbrook sie bereits hingewiesen. Aber ihr war einfach die Unabhängigkeit
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