Schwaerzer als der Tod Thriller
waren.
Er litt an Herzkranzgefäßverengung und einem halben Dutzend anderer Krankheiten, die ihn eigentlich hätten umbringen müssen, aber er war schlichtweg zu boshaft, um zu sterben. Seine Frau, ein zur Erde herabgestiegener Engel und
beinahe dreißig Jahre jünger als er, hatte nach ihrer Diagnose nicht einmal mehr vier Monate gehabt.
Manchmal war Anne deswegen fürchterlich wütend auf ihre Mutter. Wie jetzt auf dem Weg hinauf in ihr Zimmer.
Wie konntest du mir das antun? Wie konntest du mich mit ihm allein lassen? Ich brauche dich doch.
Ihre Mutter war immer ihr wichtigster Gesprächspartner gewesen, die Stimme der Vernunft, ihre beste Freundin. In diesem Moment hätte sie Anne gesagt, dass sie sich egoistisch verhielt, aber wie jedem verlassenen Kind war Anne das egal. Ein bisschen Egoismus war das Mindeste, was ihr zustand.
Dem letzten Wunsch ihrer sterbenden Mutter folgend, hatte sie ihr Studium abgebrochen und war nach Hause zurückgekehrt, um sich um ihren Vater zu kümmern. Statt zu promovieren und als Kinderpsychologin zu arbeiten, hatte sie eine Stelle als Lehrerin für die fünfte Klasse an der Grundschule von Oak Knoll angenommen.
Und jetzt hatten drei ihrer Schüler ein Mordopfer gefunden.
Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, als sie ihre Nachttischlampe anknipste. Es hätten vier sein müssen.
Wo immer Dennis Farman sich aufhielt, war Cody Roache nicht weit. In all dem Durcheinander und der Verwirrung über das, was geschehen war, hatte Anne überhaupt nicht an ihn gedacht. Jetzt überkamen sie Schuldgefühle. Der arme Cody, immer wurde er vergessen. Aber sie hatte ihn im Park nirgends gesehen. Vielleicht war er tatsächlich nicht dort gewesen. Vielleicht hatte ihn nach der Schule jemand nach Hause gefahren.
Inzwischen lagen die Kinder bestimmt alle im Bett und sollten fest schlafen und träumen. Würden sie das Gesicht der Toten vor sich sehen, sobald sie die Augen schlossen?
Anne trat ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht zu den Lichtern, die hinter den Fenstern der Häuser brannten. Was würde sie sehen, wenn sie in das Haus der Farmans blicken könnte? Frank Farman war sicher zusammen mit dem Sheriff immer noch am Fundort der Leiche. Würde seine Frau Dennis zuhören, wenn er ihr aufgeregt erzählte, was er heute erlebt hatte?
Sharon Farman hatte auf Anne einen überarbeiteten und lebensüberdrüssigen Eindruck gemacht. Sie hatte ihre Arbeit, sie hatte ihre Kinder, sie hatte ihren Ehemann. Aus Dennis’ Verhaltensauffälligkeiten in der Schule schloss Anne, dass sich seine Mutter nach Kräften bemühte, ihn zu ignorieren, in der Hoffnung, dass er möglichst bald erwachsen werden und ausziehen würde.
Es fiel ihr nicht schwer, sich Wendy Morgan und ihre Mutter Sara vorzustellen, wie sie bei eingeschaltetem Licht im Bett lagen und sich aneinanderkuschelten. Die Morgans schienen eine dieser liebevollen, harmonischen Familien zu sein, die man sonst nur im Fernsehen sah. Wendys Mutter gab Kunstunterricht an der Abendschule, ihr Vater Steve war Anwalt und verbrachte seine freie Zeit damit, bedürftigen Familien juristischen Beistand vor Gericht zu leisten.
Das Kind in Anne beneidete Wendy um diese Eltern. Sie selbst hatte eine einsame Kindheit gehabt, ausgeschlossen aus der Beziehung ihrer Eltern und der Entwicklung eines gestörten Beziehungsmusters ausgeliefert.
Ihre Mutter war nett und liebevoll zu ihr gewesen, trotzdem hatte Anne immer gewusst, dass die wichtigste Rolle im Leben ihrer Mutter ihr Vater spielte. Sogar jetzt noch. Noch im Tod hatte ihre Mutter die Bedürfnisse ihres Ehemanns über die ihres Kindes gestellt. Ihre Mutter wäre entsetzt gewesen, hätte sie es erkannt, aber das hatte sie nicht, und Anne hätte es ihr nie gesagt.
Anne war ein ruhiges Kind gewesen, eine Beobachterin. Ihr war nichts entgangen, was um sie herum vorging, sie hatte es verarbeitet und ihre Schlüsse für sich behalten.
Dieselben Eigenschaften stellte sie bei Tommy Crane fest. Er neigte dazu, sich von anderen abzusondern, ihre Stimmungen zu erfassen, zu beobachten, was sie taten, und entsprechend darauf zu reagieren. Von den Kindern, die die Leiche gefunden hatten, war er am empfindsamsten, und das Erlebnis würde ihm am meisten zu schaffen machen. Dennoch wäre er am wenigsten imstande, darüber zu sprechen.
Wenn sie einen Blick in das Haus der Cranes werfen könnte, würde sie dann Tommy sehen, wie er den ganzen Abend dasaß und zuhörte, während seine Mutter telefonierte und
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