Schwätzen und Schlachten
Klappern von, das Gurren der, Teppichklopfen, Kirchengl–
Also pass auf, sagte Stanjic. Ich hatte mir damals eines der Videobänder gegriffen, die da bei Simon im Regal stehen, sind es zweihundert, dreihundert? Ich weiß es nicht, viele.
Stanjic hatte anfangs in Glasers Wohnung gewohnt. Er war, ob seiner überstürzten und kopflosen Flucht aus seiner düsteren Heimat, natürlich gänzlich bar jeder Unterkunft oder auch nur Idee, hier in Berlin irgendwie unterzukommen, in den nächstbesten Zug gestiegen, hier am Hauptbahnhof wieder herausgefallen und hatte sich erst mal verirrt.
14. Die Sache mit der Auskunft
Dieses planlose Irren durch die Stadt, diese planlose Stadt. Hatte nicht jede normale Stadt ein Zentrum? Doch.
Diese nicht. Berlin hatte kein Zentrum. Berlin hatte Mitte, aber war Mitte ein Zentrum? Nein. Stanjic fand Mitte kein Zentrum, es war eine ganz falsche Versprechung. Man fuhr nach Berlin, man hatte mit Müh und Not einen dieser komplizierten Stadtpläne entheddert und nach einem Zentrum gesucht. Wo sollte es sein? Am Fernsehturm? Wieso? Weil man, dörflich oder provinzstädtisch geprägt, vermutet, jeder Ort schare sich um eine Kirche. Aber diese Kirchen hier, waren das überhaupt Kirchen? Er bezweifelte das. Dörflich oder provinzstädtisch geprägt vermutet man, in Ermangelung einer solchen, eine Stadt schare sich zumindest um einen Turm? Genau. Genau so hatte er gedacht. Eine Stadt wie Berlin konnte sich natürlich nicht um eine kleine Dorfkapelle drängen, es müsste ein Dom sein. Er suchte nach dem Dom, aber da war keiner. Gewiss, da war ein Dom, die Leute hier sagten, dort steht der Dom, aber er sah gleich, das war keiner. Stanjic wusste, wie Kirchen aussehen, er wusste, was ein Dom ist. Da war keiner.
Dann nahm er den Turm. Er fuhr zum Alexanderplatz, aber er sah auch hier sofort, so sieht kein Zentrum aus. Wo ist die Altstadt, sagte er, aber es gab keine, schlecht fürs Zentrum. Und schon hatte er nicht weitergewusst, er wusste immer schnell nicht weiter, eine Charakterschwäche.
Jeder, der schon einmal planlos am Alexanderplatz herumgeirrt ist, weiß, dass das kein Spaß ist. Er versuchte es noch einmal mit dem Stadtplan, vergeblich. Stadtpläne, die man nicht vollständig ausbreiten konnte, Stadtpläne, die man nicht beispielsweise flach über eine Motorhaube breiten konnte, auf einen ausladenden Rücken, an eine allfällige Wand, um sich so einen Überblick zu verschaffen, waren völlig nutzlos und vor allen Dingen, und das fand er bedenklich, verfälschten sie die grausame Realität der Großstädte: dass sie nämlich groß waren.
Diese eingefältelten Stadtpläne, die bei dem geringsten Versuch, sie doch noch zu einem vollständigen Plan und Bild der Stadt auszubreiten, zerrissen, sie vermittelten den törichten Eindruck, es handele sich weniger um eine Großstadt als vielmehr um durchaus überschaubare kleine Dörfer. Ausschnitt für Ausschnitt klappte man sich durch die Stadt und gelangte so zu der völlig falschen Auffassung, es sei diese Stadt beispielsweise fußläufig durchaus bewältigbar. Seit er das gedacht hatte, ging er viel zu Fuß und kam nie an, seit er das gedacht hatte, verirrte er sich unablässig und fand kein Zentrum. Er hatte dann aufgehört, das zu denken, und fuhr nach Mitte, fuhr zum Alexanderplatz und suchte die Altstadt, aber da war keine.
Es war ein Stadtplan zum Verzweifeln oder eine Stadt zum Verzweifeln, so genau konnte er das noch nicht sagen.
Er warf den Plan in die Mülltonne und kaufte sich eine Wurst.
Er irrte noch ein bisschen um den Fernsehturm herum. Schön war es hier beileibe nicht. Er schaute nach oben, aber auch oben war es nicht schöner. Der Fernsehturm immerhin gewissermaßen pittoresk. Er erinnerte ihn an die Styroporattrappen futuristischer Städte in veralteten futuristischen Filmen.
Die Häuser rundherum: nicht schön, eines davon war, vermutlich, um seine ungeheure Hässlichkeit zu kaschieren, vollständig von einem riesigen Plakat verhüllt, darauf stand: Sie wollen zum Alex und wissen aber nicht, wo der wohnt?
Stanjic lachte, genau, sagte er. Er warf die Wurst weg, es war quasi die Wurst zum Stadtplan, weil – er winkte ab, egal, murmelte er, ist viel zu mühsam, das jetzt zu erklären.
Er holte sein Telefon hervor und tippte die Nummer ein. Das Plakat warb für die Auskunft und Auskunft war genau das, was er jetzt brauchte.
Hallo?, sagte er, er trat ein wenig von der Straße zurück, es war sagenhaft laut,
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