Schwätzen und Schlachten
anfangen.
Knackig hast du gesagt.
Etwaige Leser, sagte er, die gerne was mit Liebe lesen wollen, hast du aber schon längst vergrätzt.
Ich seufzte.
Liebe Leser. Die Liebe kommt. Manchmal tut sie das auf steinigen Wegen. Aber sie kommt.
Wir, fuhr Stanjic fort, Katharina und ich, fuhren mit der Zahnradbahn auf den Uetliberg, der Himmel frisch gewaschen, es war strahlend schön, Katharina trug einen hübschen Hut. Ein Licht, als zechten wo Engel.
Von der oberen Station aus führt ein sogenannter Planetenweg spiralförmig auf den Gipfel. Wir kamen an der Venus vorbei, an Neptun, Mars, Merkur, erwanderten die Sonne, überholten den Mond und so fort und wurden für diese Strapazen mit einem wirklich außerordentlichen Ausblick belohnt. Wir traten aus dem Waldweg heraus auf das Plateau. Ringsum die Berge, fluoreszierender Schnee auf den Gipfeln, tollende Dohlen, ein Bussard in nachdenklicher Schraube. Tief und grün die Wälder unter uns, die Farben wie Ohrfeigen oder was in die Magengrube.
Bussarde sind nicht nachdenklich, sagte mein Lektor streng, das ist Quatsch. Bussarde schrauben sich womöglich hartnäckig, womöglich eisern, aber ohne Nachdenken in den Himmel, spähen hinab, sichten eine kleine Mahlzeit in eifrigem Getrappel, zwecklosem Gehoppel, zögern nicht, denken keinen Fingerbreit nach und fallen wie Hallodris immer dem Schnabel nach wieder nach unten, den Kopf erwartungsfroh gereckt – so viel zu den Bussarden.
Okay, sagte ich erfreut, ich lerne immer gerne dazu.
Wir waren, fuhr Stanjic fort, keineswegs die Einzigen, vielmehr schien sich die halbe Stadt hier oben ein Stelldichein zu geben. Alle strebten nach den Planeten jetzt dem Restaurant zu, welches, so Katharina, für seine exquisite Tarte aux pommes berühmt war, oder seine Öpfelwaihe , wie die Leute sie dort so herzig nennen.
Bevor wir uns einen Platz auf der Terrasse suchten, wollten wir von einem etwa 15 Meter hohen Aussichtsturm einen Blick ins Tal und somit auf Zürich werfen.
Wir stiegen die Treppen hoch, das friedliche Schnappen der Stufen an Sonntagnachmittagen, der Bussard schrie, stürzte sich auf Gedeih und Verderb in die Tiefe.
Oben auf dem Turm war außer uns nur ein einzelner Herr, angetan mit einem langen, schwarzen Mantel und einem ebensolchen, auffällig unmodischen Hut, der versunken die uns zu Füßen liegende Stadt betrachtete.
Wir traten neben ihn und als ich mich anschickte, ebenfalls (versunken) die uns zu Füßen liegende Stadt zu betrachten, wandte er sich um und schaute mir ins Gesicht.
Er schaute mir ins Gesicht, und zwar – ich fühlte mich schlagartig unbehaglich – seltsam konkret und, wie soll ich sagen, isoliert. Immerhin hatten wir uns nie zuvor gesehen. Ich sah an seinen Schläfen die traditionelle Locke orthodoxer Juden und verstand jetzt erst den langen Mantel und den von Gott – von absolut jedem Gott – verlassenen Hut. Er betrachtete mich, die Augen in diesem Blau der Alten, das schon beinah sphärisch wird, er lächelte.
Mankind , sagte er, do you know mankind?
Ich wandte den Kopf, weit unten die Stadt, das Mäandern des Flusses, Felder und Flure, Hasenwege, Mäusepfade, der See ein Smaragd, das Kupfergrün der Dächer im Licht, ich schüttelte den Kopf.
Nein , sagte ich, und es war nicht gelogen, nein.
Seine leise und melodische Stimme ist mir heute noch sehr gegenwärtig. Er stieg die Stufen des Turmes hinab, und ich schaute ihm hinterher, wie er den Planetenweg einschlug, unter die schattigen Bäume trat und hinter der nächsten Biegung Richtung Saturn oder was verschwand.
Ich drehte mich um zu Katharina, sie schaute durch das bewegliche Fernrohr, sie schien nichts bemerkt zu haben.
Wir aßen hinterher, dicht gedrängt mit der restlichen, bestens gelaunten Einwohnerschaft von Zürich, Öpfelwaihe und tranken süßen Traubenmost, schauten ins Land. Das gedankenlose Arbeiten der Bussarde, das kindische Tollen der Dohlen, der Sonntag neigte sich in einen blauen Abend, die Farben verblassten, es wurde kühl.
Als wir uns anschickten, wieder hinunter zur Station zu wandern, um dort die Bahn ins Tal zu besteigen, stand die Sonne schon tief. Die krakeelenden Massen rüsteten ebenso wie wir zum Aufbruch und Katharina schlug vor, einen anderen, ihr gut bekannten Weg hinunter zur Bergstation zu nehmen, abseits der vielen Leute.
Ich stimmte gerne zu, und wir gingen an den fidelen Bürgern vorbei und tauchten auf einem schmalen Pfad in den Wald ein, wo uns schlagartig eine zwar
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