Schwätzen und Schlachten
Nachbarin, Simon hat mit meinem Schicksal für sein Wohl gesorgt, der heimlifeisse Hund.
Die musikalischen Termine sollten für eine gewisse Klarheit sorgen oder, wie Sydow das ausdrückte, der fetten Sau das Heimlichtun verleiden, Simon ist nicht fett, sagte Stanjic, aber feist im Geiste, sagte Sydow, kann schon sein, sagte Stanjic.
Das Betrübliche war: Sie hatten nun ein paar Termine, bloß war es dann Stanjic, der jeweils nicht auftauchte. Das erinnerte ungut an seine ersten paar Wochen in der Stadt, als er jeweils Stunden zu spät kam oder wahlweise auch gar nicht, er hatte sich schon mit Stadtplan dauernd verirrt, ohne wurde es nicht besser. Wie ein Besessener rannte er damals in der Stadt herum und wollte sich alles anschauen.
Jetzt schaute er sich nichts mehr an, entweder hatte er alles gesehen oder log sich über die wirkliche Größe der Stadt was in die Tasche. Sie hatten sich ein paar Termine ausgemacht zum Proben und Stanjic kam schon wieder nicht.
30. Astrologie ist besser als ihr Ruf
Beim Glaser zu Hause war alles wie gehabt, bloß staubiger. Das hätte Sydow schon misstrauisch machen müssen, aber war er vielleicht ein Detektiv?
Eben.
Er hielt sich damit also nicht so lange auf, wie er gesollt hätte, oder Glaser war einfach zu zugeknöpft und heimlifeiss. Während sie auf Stanjic warteten, kamen sie vom Hundertsten ins Tausendste und irgendwo noch unter der Hundert auch auf das Gutshaus zu sprechen, das Frau von Sydow irgendwo im Mecklenburgischen besaß. Hätten sie gewusst, dass sie damit ein Rad zum einrasten würden bringen und dem Schicksal einen Damm gruben, sodass es nicht mehr auskonnte, es hätte ihnen das Schwätzen verleidet.
Aber kann man die Sterne löschen, wenn sie einem die Zukunft weisen?
Nein. Man kann sie nur weiträumig umfliegen.
31. David, der Schussel
Ich hab dir schon gesagt, dass das überhaupt nicht in die Tüte kommt, sagte Frederik Sydow, Glaser hatte ihm sein neues Konzept erklären wollen, Musik der Erde, aber Sydow hatte das rigoros abgebrochen, mit so was musste man ihm nicht kommen.
Was heißt, du willst jetzt Klezmer spielen, bist du irre?
Wieso denn irre, Glaser horchte und drehte an dem Wirbel, irgendwie ist das einfach immer verstimmt, behauptete er. Er drehte noch ein bisschen, strich über die Seiten und schaute ihm freundlich ins Gesicht, das ist ein neues Konzept. Was hast du gegen Konzepte, wieso bitte irre, bist du jetzt auf einmal gegen die Juden oder was.
Wieso gegen die Juden, Sydow sortierte die Noten auf dem Ständer, schraubte das Mundstück auf die Klarinette und warf einen Blick auf die Uhr. Wieso kommt David schon wieder nicht. Langsam habe ich das satt, dass David immer nicht kommt oder wenn er doch kommt, zu spät kommt, wo, frag ich mich langsam, wo bleibt David eigentlich immer. Neuerdings trifft man dich nur noch, wenn man dich mit der Gabel feststicht und einrollt und jetzt sind wir schon wieder nur zu zweit. Die Juden, er raufte sich die Haare, fuchtelte mit der Klarinette herum, was soll denn das mit den Juden zu tun haben. Was soll denn dieser sentimentale Folkloremist bitte mit den Juden zu tun haben, das ist Volksmusik, Schimi, das ist einfach Volksmusik, verstehst du, niemals würdest du hier eine Volksmusik spielen. Niemals würde ich hier eine Volksmusik spielen. Kein vernünftiger Mensch auf der ganzen Welt würde je eine Volksmusik spielen. Wieso denn bitte, wo mir früher schon beim Musikantenstadlschauen bei meiner Oma immer schlecht geworden ist, wieso denn bitte soll ich jetzt hergehen und eine Volksmusik von den Juden spielen, das ist –
Die sind im Grunde ja kein Volk, Glaser spielte ein paar Takte, kein wirkliches. Das ist ja ihr Problem, von wo sollen die denn ein Volk sein, er brach ab, begann seinen Bogen einzureiben, er deutete mit dem Bogenharz auf Sydow, die haben gar kein Land, erklärte er, verstehst du, darum sind sie auch kein Volk. Kein Land, er schüttelte bekümmert den Kopf, nur ihre Musik haben sie. Als wär die Vertreibung aus Ägypten nicht schon genug gewesen. Nein, immer eins drauf. Als wäre das alles nicht immer schon genug gewesen. Pogrome im Mittelalter. Schikanen im Barock, der Holocaust. Und dann du. Man hat ihnen alles genommen und jetzt kommst du und nimmst ihnen auch noch die Mu–
Ah ja aha. Sydow starrte ihn an, auf dem Klavier spielen wir jetzt, ja? Und weißt du, dass du auf dem Klavier total falsch spielst? Du bringst alles durcheinander. Weil du die Klaviatur gar nicht
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