Schwätzen und Schlachten
beherrschst. Weil du überhaupt nicht Klavier spielen kannst. Bringst alles durcheinander und verwurstest es, wies dir passt. Die Juden, sie sind keine Rasse, sie sind keine Nation, aber sie sind ein Volk. Keines im nationalen Sinne, die Nationen, sie sterben sowieso aus, aber ein Volk. Der Große von oben hats gesagt. Und ein Volk hat eine Volksmusik. Leider. Und was soll das also bitte anderes sein wenn nicht eine Volksmusik?
Glaser legte das Kolophonium beiseite und zog den Pullover aus, hängte ihn über die Stuhllehne. Er strich sich ausführlich die Haare zurück, lächelte. Was das sein soll? Er fuhr mit dem Bogen über die Cellosaiten, spielte ein paar Takte, verzog das Gesicht, also das Cello, das David mir da angedreht hat, mit dem ist irgendwas ganz im Argen. Glaubst du, das ließe sich stimmen? Keine Chance, er spielte weiter, es ist ein unstimmbares Cello.
Stanjic hatte ihm nach dem erfolglosen Besuch der Schweiz und des Verrückten in St. Gallen erfolgreich sein Cello verkauft. Er hatte ihm angedeutet, der Spezialist in St. Gallen sei höchst angetan, nein, sprachlos gewesen ob der markanten und einzigartigen Stimme, die dieses Cello von sich gäbe, gerade in der Neuen Musik, sagte David Stanjic eindringlich, suche man nach Instrumenten, die innovative und überraschende Wege wiesen.
Er selbst spielte jetzt Ziehharmonika, da kam es auf die Holzdichte null drauf an.
Ist das überhaupt ein Cello?, fragte sich Glaser, ich meine, er hätte das gesagt. Ein Cello, das wohl, aber unstimmbar. Ist aber nicht so schlimm, diese Musik verträgt das, es ist eine flexible Musik, damit auch die ganz Armen aus den Gettos sie spielen können, auf Geigen aus Schuhkartons und Klarinetten aus Gartenschläuchen, es klingt immer noch schön. Diese Musik klingt auf einem unstimmbaren Cello womöglich am allerschönsten, begleitet von einer Klarinette, die man verkehrt herum bläst, er schaute Sydow in die Augen, Tsu mir is gekumen a Kusine, sang er herzhaft, was das sein soll? Lieber Frederik? Ein schönes Lied, oder? Das handelt von einer grünen Cousine. Sie kam nach Amerika, erbsengrün hinter den Ohren, ein kleines süßes Greenhorn. Schejn wie gold is sie gewejn di Grine, ein Grünohr und dabei: schön wie gold! Bekelech, er strahlte, das sind die Backen, ihre Backen nämlich, wi rojte Pomerantsn , da weiß ich nicht, sind das Blutorangen? Pink Grapefruits? Und dann: Fiselech, da singt er dann von ihren appetitlichen Füßen, den Füßelchen, zarte Fesseln – was das sein soll, fragst du mich? Weltmusik.
Sydow heulte auf, du bist völlig irre! Er biss das Mundstück wieder ab und schmiss die Klarinette zurück in den Kasten, warf die Noten in die Mappe und stopfte alles in seinen Rucksack. Er klappte kreuz und quer den Ständer zusammen, klemmte sich die Finger ein, au, rief er, so ein Geraffel!
Geraffel?
Sagt Stanjic immer, das ist so ein Austriazismus, behauptet er und ich kann ihm nicht das Gegenteil beweisen. Aber lenk nicht ab, Weltmusik, rief er, du denkst doch nicht im Ernst, dass ich mit dir eine Weltmusik mache, er tippte sich mit dem Notenständer an die Stirn, Backen wie Pomeranzen, so ein ausgemachter Schwachsinn, schick sie zurück nach Amerika, mit dem Gemüsetransporter von mir aus. Volksmusik, Weltmusik, er klappte noch ein bisschen an dem Ständer herum, für mich ist das alles eins und schlecht wird mir allemal, such dir einen anderen Deppen. Er schaute den Ständer an, kreuz und quer und verklappt, ein totales Geraffel, irgendeinen Deppen, sagte er, den Stanjic. Er warf den vermurksten Notenständer von sich, er schlitterte unters Sofa, Sydow nahm seine Jacke vom Stuhl und schlang sich den Schal um den Hals, kannst du ja – verflucht!, rief er, dieser elendslange Schal!
Er wickelte und wickelte, das hörte gar nicht mehr auf, das hört ja gar nicht mehr auf, rief er, kämpfte den Mund frei, kannst du ja David fragen, er warf einen Blick auf die Uhr, wenn er überhaupt je wieder auftaucht. Langsam hab ichs satt, man kann nicht jahrelang immer zu spät kommen und jedes Mal behaupten, man habe sich verlaufen, weil man sich noch nicht auskennt. Wohin, frage ich mich allmählich, wohin bitte verläuft der sich, ins Café Noch Schöner ? Ins Schlechtes Versteck ?
Schlechtes Versteck ? Glaser hörte auf zu fiedeln, das kenne ich gar nicht.
32. Nein, David hat einfach eine gute Nase
Stanjic? Im Schlechtes Versteck ? Keineswegs. Es war auch nicht so, dass er sich irgendwo einparkiert hatte
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