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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Station. Dort war der Mond und hier keine Station.
    Mitunter küsste und schnabulierte Katharina an mir, ich – Stanjic stockte.
    Er blickte mit weit offenen Augen ins Lokal. Wenn er an dieses zärtliche Tandaradei dachte, wurde ihm immer noch ganz wuschig im Kopf, wenn er an seine eigenen Hände dachte, die sich um ihre Hüften spannten, diesen außerordentlich nackigen Rücken im fahlen Mondenschein, die launigen Gespinste ihrer feinen Haare, meinte er, auf der Stelle in Ohnmacht fallen zu müssen. Er warf einen raschen Blick auf Sydow, Gott sei Dank schlief er, fest in die dicken Kissen gesunken, schlief und kriegte nichts mit, aber erzählen musste er es, er wäre sonst erstickt und explodiert, und zwar gleichzeitig.
     
    Manche, sagte mein Lektor, haben echt kein Glück, ersticken und explodieren, gleichzeitig.
    Ja, sagte ich, toi, toi, toi, dass uns das Schicksal gnädiger ist.
     
    Ich lag an ihrem Hals, ich roch und – schnelles Fallen, rasche Bilder, ein Duft wie ein Daumenkino, roch an diesem Hals, wie reife Birnen, ein Rosengarten in Samarkand, die Idee von: Zaumzeug, feste Lederriemen in der Hand, so – Blitze im Kopf, so ein Riechen war das. Mir schwanden so allmählich die Sinne. Ein Geruch wie ein Daumenkino, ich war geworfen in kunterbunte Untiefen, ich sah Samarkand, einen Garten mit Rosen, ich zäumte ein Pferd, strich über einen Sattel wie glatte Kiesel, roch das Leder. Ich saß auf einer Piazza an einem Tisch, die Sonne im Untergang, rot-weiße Karos und gestärkte Servietten, ich lag unter Birnbäumen, hörte das propere Fallen von Obst, blau blühte Jasmin. Ich glaubte nicht mehr an eine Station. Wo sollte es sein, dieses Houston, ich glaubte nicht mehr an die Existenz von Zürich, es war nur noch der Wald und die Nacht. Da war keine Stadt mehr, der Weg würde niemals aufhören. Ich würde herumirren zwischen gezäumten Pferden und seidenen Teppichen, gefangen zwischen Orient und Okzident, wäre irgendwo auf dem Weg ins Morgenland, immer der Nase nach, verirrt in den Karos einer italienischen Tischdecke.
    Irgendwann die Lichter. Waren es Sterne? Vom Nachthimmel gefallene kleine Leuchtkörper? Sterne sind ja so sinnlos. Sterne sind, machen wir uns nichts vor, romantischer Schnickschnack, eine Verschwendung von Rohstoff. Hatte der Himmel endlich gehandelt, hatte man den Plunder aussortiert, auf die Erde gekippt, waren wir die Müllhalde der Galaxis?
    Ich fühlte mich seltsam irr, spürte meine Füße nicht mehr, spürte nicht mehr, dass der Waldboden überging in Asphalt.
    Kanadische Fichten sind schon auch wie Fichten, aber mit einer Art Nudelsuppe anstelle von ordentlichem Nadelwerk. Ich dachte an dampfende Nudelsuppen mit träge treibenden Fettaugen, dazwischen durchgelaufene Strümpfe wie fade Nockerln.
    Wir gingen durch die menschenleeren Straßen, die Erde war evakuiert worden, alle weg. Das fahle Licht der Laternen, ich ging hinter Katharina, folgte ihr und der Bildspur, die sie hinter sich herzog, durch das nächtliche Zürich, ging ich Seidenstraßen, Gewürzstraßen, ging ich in einer Karawane, hüpfte ich von einem Karo zum nächsten, ich weiß nicht. Ich ging einfach diesem Geruch hinterher, welche Zeit es war? Zwei Uhr morgens, drei oder eins? Es fuhren keine Straßenbahnen, keine Autos, weg.
    Wo war die Menschheit, wo war mankind? Wir hatten den Uetliberg und ich weiß nicht, welche sonstigen Berge und Wälder, womöglich die gesamten Alpen hinter uns gelassen und ich fühlte mich wie in einem psychedelischen Albtraum.
     
    Wieso denn Albtraum, sagte mein Lektor, wieso psychedelisch, für Stanjic läufts doch eigentlich ganz spitzenmäßig.
    Spitzenmäßig?, rief ich entrüstet, er hat keinen Schimmer, was ihm geschieht!
    Männer, sagte mein Lektor weise, Männer mögen das.
    Ich schnaubte, Männer mögen das, äffte ich, so was Dummes habe ich überhaupt noch nie –
    Frag Mathias.
    Frederik!
    Er schwieg irritiert, wir schauten uns unsicher an, hast du auch manchmal das Gefühl, flüsterte er, dass dir die Sache über den Kopf wächst?
    Absolut, sagte ich, absolut.
     
    Ich folgte Katharina durch die verwinkelten, engen Gassen, ineinandergeschachtelt ohne Sinn und Verstand. Dieses vertrackte Zürich, ich folgte ihr kreuz und quer, Straßen hoch und wieder runter, folgte ihr zu einem mir unbekannten Haus, dessen Schlüssel sie aber ganz selbstverständlich hervorholte, folgte ihr durch eine Haustür, wankte die Treppen hoch und fand mich in einer akkurat quadratischen Küche

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