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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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wohltuende, nach dem beständigen Getrappel des Tages jedoch auffällige Stille umfing.
    Keiner war mehr zu sehen. Alles absolvierte im Eiltempo die verstreuten Planeten, fernab jedoch von unserem Sonnensystem stieß man in unendliche Weiten, galaktische Ruhe. Ich würde sagen, aus dieser ganz und gar privaten Beobachtung heraus: Es gibt keine fremden Wesen, irgendwo im Weltall. Dort ist es still, verstehst du?
    Es gibt keine fremden Wesen, wiederholte er träumerisch, wir sind allein. Katharina und ich, wir waren gänzlich allein. Ich wunderte mich zwar, dass keiner der Ausflügler in Kenntnis dieses Nebenweges zu sein schien – der, je enthusiastischer Katharina ihn anpries, desto eher gar zu einer regelrechten, zahlreiche der uns bekannten Planeten einsparenden Abkürzung avancierte –, machte mir aber keine weiteren Gedanken, sondern folgte Katharina, die zielstrebig hangabwärts ging.
    Wir liefen schon eine ganze Weile. Ich begann mich langsam zu wundern, dass die Bergstation nicht auftauchte. Meinem Ermessen nach hätten wir sie spätestens nach einer halben Stunde – so viele Planeten kennen wir nun auch wieder nicht – erreichen müssen, da drehte sich Katharina zu mir um und küsste mich.
    Stanjic schwieg einen Moment. Sydow schlief Gott sei Dank, tief und fest. Küsste mich, erzählte Stanjic schnell, höchst unvermittelt! Sie küsste mich noch, als ich schon rücklings auf den weichen Nadeln zwischen den Tannen lag, den Fichten, wenn ich es genau betrachte, küsste mich, wie ein Überfall.
    Und das Letzte, was ich sah, bevor ich völlig verdattert die Augen schloss, war ein Astronaut, der über mir zwischen den Zweigen einer kanadischen Fichte hing und sich langsam drehte, den Kopf in einem Helm wie einem runden Fischglas. Ich hätte nicht sagen können, war es Armstrong, Gagarin? Das poetische Aquarium um den Astronautenkopf ließ eine genaue Sichtung nicht zu.
    Armstrong betätigte sich auf dem Mond und wo war Gagarin? Millionen Lichtjahre entfernt? Hatte er sich verirrt? Wollte er eine Abkürzung nehmen? Trieb er irgendwo im Orbit? Auf dem Mond wurde gerade ein Adler geparkt und Gagarin gaukelte in den unendlichen Weiten unserer Galaxis?
    Ich auch. Im Orbit. Unendliche Weiten. Der Astronaut drehte sich leise, Houston, Houston calling , im Übrigen erlebte ich hier auf der Erde gerade meine ganz private Mondlandung, Astronauten, Kosmonauten, le petit mort der Franzosen eilte freudig auf mich zu, Amerikaner, Russen und Franzosen, Orbit, dachte ich noch und: Was. Bedeutet. Das. Ich öffnete kurz die Augen, der Astronaut war weitergeflogen, Franzosentod, Orbit, dachte ich, Orbit, implodierte.
    Sie stand auf, genug geküsset! Strich ihren Rock glatt, es war dämmrig. Ich schaute in die Zweige, malerisches Mikado am Himmel, es war zu dunkel, etwas zu erkennen. Sie streifte die Tannennadeln von meinem Hemd, Fichtennadeln, kanadische Fichtennadeln. In den dortigen Wäldern, sagte Stanjic mit erhobener Stimme, achte einmal darauf, solltest du einmal promenierend den alpinen Baumbestand in Augenschein nehmen – in den dortigen Wäldern wird in der Aufforstung neuerdings ein gewisses Schwergewicht auf die kanadische Fichte gelegt. Die kanadische Fichte ist der gemeinen Fichte und gar der profanen Tanne insofern haushoch überlegen, als sie Sturm und Wetter trotzt, nicht biegt, nicht bricht, sie ist hässlich, du hast recht, sie verschandelt schon Kanada, jetzt auch das schöne Land, das das Alpenland genannt wird, verhunzt mit ihrem gerupften Antlitz die Bergregion, aber: Hässlich lebt länger, die Hässlichen müssen sich, das ist beim Baum wie beim Menschen in etwa dasselbe, die Hässlichen müssen doppelt stark, halsstarrig und dickhäutig sein, eben weil sie so hässlich sind, da sind die Vorbehalte per se immens, die kanadische Fichte ist ihrer europäischen Cousine durch ihre Hässlichkeit überlegen.
    Ich drehte mich noch einmal um, suchte hoch oben in den Verästelungen der Bäume, Gagarin? Armstrong? Es war zu dunkel.
    Wir wanderten weiter. Bald weitete sich der Weg und man hätte gut und gern auch zu fünft nebeneinandergehen können, bloß, wer hätte das sein sollen. Tatsächlich hatte sich noch immer keine Menschenseele blicken lassen, alle jenen Städter, die sich oben im Restaurant noch den Chäs vom Teller fraßen, schienen vom Erdboden verschluckt.
    Es wurde immer dunkler, ein fetter Mond ging langsam über dem Wald auf, mir wurde klar, dass hier keine Station mehr kommen würde. Keine

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