Schwarz auf Rot
genügend Platz.
Sie war rundum zufrieden mit dem Ergebnis der E r mittlungen und mit der Rolle, die sie darin gespielt hatte. »Dann ist also alles abgeschlossen«, sagte sie und wandte sich ihm mit strahlendem Lächeln zu, während ihre Hä n de weiterhin damit beschäftigt waren, Tofuscheiben mit Hackfleisch zu füllen.
»Da ist noch vieles, was geregelt werden muß.«
»Ist es nicht großartig, daß ich – daß wir beide – etwas für Yang tun konnten?« sagte sie. »Yin ist sein einziger Trost gewesen in seinen letzten Jahren. Und jetzt ist ihr Mörder gefaßt. Im Himmel, falls es den gibt, wird Yang sich darüber freuen.«
»Ja, aber daraus folgt …« Yu hielt es für besser, se i nen Satz nicht zu beenden; was er dachte, war: daß sein Großneffe jene Frau umgebracht hat, die Yang geliebt hatte.
»Könntest du die Gedichtsammlung für mich holen? Sie liegt in der zweiten Schublade der Kommode.«
»Natürlich. Aber warum?«
»Gerade jetzt beim Kochen kam mir eine neue Idee zu einem seiner Gedichte«, sagte sie. »Meine Hände sind zu schmutzig, aber wenn du mir das Buch bringst, zeige ich dir etwas, das vielleicht mit dem Fall zu tun hat.«
Yu kam mit der Anthologie in der Hand in die Küche zurück.
»Schlag bitte das Gedicht ›Eine Katze der Kulturrev o lution auf«, sagte sie. »Kannst du es mir vorlesen?«
Er begann, noch immer verwirrt von ihrem Anliegen, mit leiser Stimme zu lesen. Manchmal konnte Peiqin g e nauso in dieser Bücherwelt versinken wie Oberinspektor Chen. Zum Glück verehrte sie nur wenige Dichter so sehr wie Yang. Und es war auch gerade niemand anderer in der Gemeinschaftsküche.
Mit der Kulturrevolution / erfüllte sich mein Wunsch, eine Katze zu sein, die durch ein Dachfenster springt, das dunkle Dach erforscht und hinunter in die Fenster starrt, wo jetzt Fremde / mit den Armbinden der »Rote Garden« ein-und ausgehen. / Sie sagten mir: »Ve r schwinde /Bastard, hörst du!« Und ich hörte, / nur froh, auf das Dach zu entkommen, / wo ich zum ersten Mal / entdeckte, daß Sterne lange in Einsamkeit scheinen und daß Mutter sich verändert hat, / dort neben den R o ten Garden, / den Nacken gebeugt von einer Schiefert a fel, wie von einer zoologischen Gattungsbezeichnung. Ich konnte sogar die Worte darauf erkennen, d och ich wußte, sie kann mich jetzt nicht hindern, in die dunkle Nacht zu springen.
Der Morgen brachte mich hinunter, / mit schwinge n der Tafel schreckte Mutter zurück / bei meinem Anblick, als sei diese Tafel, Teil ihres geschwollenen Nackens. / Ich mußte schreien / in einer über Nacht erworbenen Sti m me: / »Geh und hol eine Schale Reis für mich / hörst du!« Und sie schlurfte davon. Eine Ratte raschelte im Unrat einer Nacht voller »Kulturrevolution«. Und / ich b e schloß, wo schon nicht menschlich genug, / ein Rotga r dist zu sein, dann wenigstens, die Grausamkeit einer Katze zu zeigen. Eben vom Besuch beim Zahnarzt z u rück / erwischte ich sie eines Tages, und sie quiekte: »Nein, / deine Zähne sind scharf.« – »Tja, / sie war eben im Sternzeichen der Ratte geboren«, sagte ein blinder Wahrsager seufzend an ihrem Sterbebett. »Es war ihr / vorherbestimmt nach dem chinesischen Horoskop.« Ich rannte wild hinaus. Es gab noch neun weitere Leben zu verlieren, und ich stürzte mich / in den Dschungel.
Ich sah einen Pfotenabdruck / auf diesem weißen Blatt.
»Ja, da geht es um die Kulturrevolution«, sagte Yu, nachdem er das lange Gedicht laut vorgelesen hatte.
»Jetzt, wo ich mehr über sein Leben weiß«, sagte Pe i qin, »bin ich mir sicher, daß die Sprecherrolle in dem Gedicht auf den Erfahrungen von Hong, dem Kind aus einer ›schwarzen Familie ‹ , basiert. Ihre Familie wurde von den Roten Garden verfolgt. Solche Kinder hatten unter übler Diskriminierung zu leiden. Sie galten als › p o litisch unzuverlässig ‹ und hatten keine Zukunft im sozi a listischen China. Manche von ihnen konnten sich selbst nicht akzeptieren, weil sie keine Rotgardisten werden durften.«
»Ja, deshalb hat sie, soviel ich gehört habe, ihre Eltern verleugnet.«
»Ich kann ihr das gut nachfühlen, denn ich habe ähnl i che Erfahrungen gemacht und damals auch heimlichen Groll gegen meine Eltern gehegt«, sagte sie mit bebender Stimme, faßte sich dann aber wieder. »Ein starkes G e dicht! Es schildert die Entmenschlichung der Kulturrev o lution aus der Sicht eines Kindes.«
»Ja, die Kulturrevolution hat viele Tragödien mit sich gebracht. Selbst heute noch
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