Schwarz auf Rot
gelesen.«
Vielleicht wollte Peiqin ja noch immer nicht reden, dachte er nach dieser knappen Antwort. Oder sie wollte nur nicht über Bücher mit ihm reden. Das war einer der Unterschiede z wischen ihnen: sie las und er nicht, no r malerweise zumindest.
»Dann werde ich es lesen«, sagte er.
»Und was ist mit Oberinspektor Chen?«
»Keine Ahnung. Li konnte ihn nicht erreichen.«
»Dann wirst du also in diesem Fall ermitteln?«
»Sieht so aus.«
»Wenn du Fragen zu Yang – entschuldige, zu Yin – hast, dann kann ich dir vielleicht helfen«, sagte sie. »Wenn du mehr über das Buch wissen willst, mei ne ich; ich sollte es wohl noch mal lesen.«
Dieses Angebot überraschte ihn. In aller Regel disk u tierte er seine Fälle nicht zu Hause, und sie zeigte auch kein allzu großes Interesse.
Nachdem sie tagelang praktisch nicht mit ihm gespr o chen hatte, bot sie nun ihre Hilfe an. Das war doch i m merhin schon etwas.
2
Ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.
Oberinspektor Chen Cao von der Sonderkommission der Shanghaier Polizei hatte keine Ahnung, daß Haup t wachtmeister Yu soeben von Parteisekretär Li ein Fall übertragen worden war, als ihm diese Zeile aus Der Pate in den Sinn kam. Er saß in einer eleganten Bar Gu g e genüber, dem Geschäftsführer der Shanghai New World Group. Gu war ein Aufsteiger, der sowohl zu staatlichen Stellen wie zu den Triaden gute Kontakte pflegte. Der Oberinspektor trank einen Schluck von dem französ i schen Rotwein, der im Licht der Kristallüster funkelte, und dachte über die Ironie der Situation nach. Ihr Tisch am Fenster bot einen herrlichen Blick über den Bund, die Uferstraße, die südlich des Zollgebäudes am Hafen en t langführte. Ständig wechselnde Neonreklamen ließen die Wasseroberfläche des Flusses flirren. Am Nebentisch saß ein Europäer in Begleitung einer Chinesin; sie unterhie l ten sich in einer ihm unbekannten Sprache. Und Gu machte Chen ein Angebot, das er kaum ablehnen konnte.
Doch damit endeten die Ähnlichkeiten auch schon, wie Chen sich eilends versicherte, während Gu ihm nachschenkte. Ihm war eine enorme Summe für eine Ü bersetzung angeboten worden, und Gu hatte betont, daß Chen damit ihm einen großen Gefallen erweisen würde, nicht umgekehrt.
»Sie müssen diesen Projektentwurf für mich überse t zen, Oberinspektor Chen. Und nicht nur für mich, so n dern auch im Interesse der Stadt Shanghai. Mr. John Holt, mein amerikanischer Partner, sagte, er werde das in den USA übliche Honorar bezahlen. Fünfzig Cent pro Schriftzeichen, in amerikanischer Währung.«
»Das ist eine Menge Geld«, sagte Chen, der in seiner Freizeit bereits einige Krimis übersetzt hatte und sich mit Honoraren a uskannte. Ein Verlag zahlte einem Überse t zer in der Regel ein einmaliges Entgelt von zehn Cent pro Schriftzeichen, allerdings in chinesischer Währung. Zehn chinesische Cent entsprachen ungefähr einem am e rikanischen Cent.
»Bei dem Entwurf geht es um New World, das jüngste Projekt unseres Unternehmens. Ein riesiger Einkaufs-, Vergnügungs- , Büro-und Wohnkomplex, der im Stad t zentrum entstehen soll, und zwar in der architektonischen Pracht der dreißiger Jahre«, erklärte Gu. »Alle Gebäude sind im sh ikumen -Stil gehalten: graue Backsteinwände, schwarzlackierte Türen, Türrahmen aus braunem Stein, kleine Innenhöfe, mehrere Flügel und hölzerne Wende l treppen. Der Komplex ist von kleinen Gäßchen durchz o gen, genau wie früher in den ausländischen Konzessi o nen. Kurz gesagt, man wird mitten in die gute alte Zeit hineinspazieren, so als beträte man einen Traum.«
»Ich bin ganz verwirrt, Herr Gu. Ein Neubaukomplex im Herzen Shanghais bestehend aus altmodischen, ant i quierten Gebäuden? Warum denn das?«
»Lassen Sie mich erklären. Im vergangenen Jahr war ich in Italien, genauer gesagt in Rom. Dort sah ich eine Reihe von international bekannten Markenfirmen, die ihre Läden in engen Seitenstraßen hatten, wie es sie auch bei uns gibt, kopfsteingepflastert und nicht breit genug für einen Lastwagen. Aber dennoch hatten sich die el e gantesten Geschäfte in den alten Häusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert niedergelassen. In diesen moosb e wachsenen, von Efeu umrankten Gebäuden wimmelte es von schicken, shoppenden Männern und Frauen; man saß in Straßencafes, und die Luft vibrierte von modernen und postmodernen Rhythmen. Ich war schlichtweg überwä l tigt; mir war, als hätte mir der Stock eines Zenmeisters den erleuchtenden Schlag
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