Schwarze Fluten - Roman
nur ein Wort davon verstand. Mit der Zeit stelle ich fest, dass ich mich immer mehr damit zufriedengebe, keine Geheimnisse zu ergründen, falls es mein sechster Sinn nicht absolut von mir verlangt.
Tim war ganz aufgeregt, als er feststellte, dass seine Haare wuchsen. Er sagte, die seien noch nie gewachsen, gab jedoch zu, das sei eine ziemlich merkwürdige Behauptung. Wir feierten seinen ersten Ausflug zum Friseur mit dem Besuch eines kleinen Vergnügungsparks und Eiskrem.
Nach diesem Tag schlief er allein in seinem Zimmer.
Hier am Meer habe ich diese Memoiren in einem Zustand geschrieben, den man in der Psychologie als Flow bezeichnet. Die Worte sind aus mir herausgeströmt, als hätte ich ein Diktat aufgenommen.
Die Hunde tun, was Hunde eben tun. Weil Raphael Boo so deutlich sehen kann wie ich, hat er einen Spielgefährten, aber bei allem, was die beiden spielen, hat mein Geisterhund erhebliche Vorteile.
Von Auschwitz träume ich nicht mehr und auch nicht davon, zweimal zu sterben.
Ich träume von Stormy, von den Jahren, die wir gemeinsam verbracht haben und die reich an Erfahrungen waren, und ich träume davon, wie es sein könnte, wenn wir endlich wieder zusammen sind. Das allerdings ist etwas, das ich nur in Träumen sehen kann.
Meine Reise ist noch nicht zu Ende. Eher früher als später werde ich wieder gerufen werden und mich auf den Weg machen. Wohin ich gehen muss, erfahre ich unterwegs.
Annamaria sagt, ich werde wissen, wann wir weiterziehen müssen, wenn ich eines Nachts aufwache und das Glöckchen läuten höre, das ich um den Hals trage.
Sie ist jetzt im achten Monat, aber überhaupt nicht dicker geworden. Wenn ich mir Sorgen mache, weil sie nie zum Arzt geht, dann sagt sie mir, sie sei schon lange schwanger und werde noch viel länger schwanger sein, was immer das bedeuten mag.
Vorgestern Abend stand beim Essen auf dem Tisch eine flache grüne Schale, in der eine dieser großen Blumen mit den wächsernen Blütenblättern schwebt. Annamaria behauptete, die habe sie von einem Baum in der Nachbarschaft gepflückt. Seither habe ich mehrere lange Spaziergänge gemacht, um diesen Baum zu suchen, ihn aber noch nicht gefunden.
Ich habe sie gebeten, mir den Trick mit der Blume zu zeigen. Dabei hat sich herausgestellt, dass sie ihn Tim in Roseland schon gezeigt hat. Sie meint jedoch, es sei nicht nur ein Trick, und es werde erst so weit sein, ihn mir zu zeigen, wenn ich den richtigen Namen dafür wisse. Was soll man dazu sagen?
Unsere Freundin Blossom aus Magic Beach, die sich das glückliche Monster nennt, hat angerufen, um uns mitzuteilen, dass sie nächste Woche zu uns stoßen wird. In ihrer Kindheit wurde sie schlimm entstellt, als ihr Vater – in betrunkenem Zustand! – sie in Brand gesetzt hat.
Warum wird Kindern so oft Gewalt angetan? Und warum so oft von den eigenen Eltern? Wahrscheinlich ist das einfach das Wesen dieses langen, langen Krieges. Jedenfalls freue ich mich sehr auf Blossom, denn trotz ihrer Entstellungen ist sie ein wunderschöner Mensch.
Kurz nachdem Tim sich gestern Morgen geduscht hatte, überkam ihn das Gefühl, er sei immer noch schmutzig. Er duschte noch einmal und dann ein drittes Mal. Später sah ich, wie er in der Küche weinend am Spülbecken stand und sich unablässig die Hände wusch.
Wieso er sich so fühlte, wusste er nicht, aber ich wusste Bescheid. Es waren die Jahre in Roseland, die er noch nicht so vollständig vergessen hatte, wie es nötig war.
Selbst Annamaria konnte ihn nicht trösten, weshalb ich mich mit ihm auf die Veranda setzte. Unter Männern gönnten wir uns jeder einen Schokoriegel. Während wir zusahen, wie die Watvögel durch den Himmel segelten, erzählte ich Tim, was das Beste an einem Schokoriegel ist.
Das Beste an einem Schokoriegel ist nicht die Hülle, oder? Richtig, genauso wie das Beste an einer Cola nicht die Dose ist.
In Nächten, in denen man schlaflos im Bett liegt, über sich selbst nachdenkt und eine merkwürdige Schicht des eigenen Wesens nach der anderen abzieht, sollte man sich dankbar daran erinnern, dass die beklagenswert unvollkommene Person, die man ist, mit all ihren Widersprüchen und unwürdigen Begierden nicht das Beste an einem sein muss.
Tim hat gesagt, er würde mich zwar nicht besser verstehen, als ich Annamaria verstehe, aber er hat sich besser gefühlt. Nur darauf kommt es ja eigentlich an – dass wir uns gegenseitig dabei helfen, uns besser zu fühlen.
Ich wiederum fühlte mich eine Weile gar nicht gut,
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