Schwarze Heimkehr
Wahrnehmung für subtile Vorgänge geschärft, für die andere blind waren. In dem Kaninchengehege von Büros, das sich hinter dem Boneyard befand, wo er seit dem Tag der Eröffnung jeden Tag zehn Stunden gearbeitet hatte, war ihm diese Fähigkeit nützlich gewesen. Weil er auch die geringsten Veränderungen wahrgenommen hatte, war es ihm gelungen, den Fall zu knacken, an dem er arbeitete.
Das Schlimme an seiner Homosexualität war, daß sich Garner in der sogenannten normalen Gesellschaft hilflos und unfähig fühlte. Er wollte etwas bewirken, und wenn er die Bonita-Zwillinge vor Gericht bringen würde, hätte er das verdammt noch mal geschafft. Sogar wenn andere, was unausweichlich der Fall sein würde, den Lorbeer für sich beanspruchten, wäre Garner, tief in den Schatten Washingtons verborgen, zufrieden.
Er hatte gemächlich und unnachgiebig durch kleine, nur für ihn wahrnehmbare Risse in der Fassade gespäht und flüchtige Blicke auf die geheimen Operationen der Bonita-Zwillinge geworfen, die man zwar vermutet hatte, aber bisher nicht beweisen konnte. Erst jetzt, nachdem er durch ein sich plötzlich auftuendes Loch in ihrem Verteidigungswall gesprungen war, hatte er genug in der Hand, um sie für mehrere lebenslange Haftstrafen hinter Gitter zu bringen - falls es ihm gelang, die Daten zu dem Haus zu bringen, wo ihn sein Mittelsmann‚ der auf seine eigene Weise geduldig war, bereits erwartete.
Garner schlüpfte in eine Seitengasse, die nach Urin und getrocknetem Fisch stank. Man hatte ihm einen Schlüssel gegeben, und er öffnete damit eine Seitentür des White House. Dieser Hardcore-Schwulenclub, der sich in dem Gebäude eines längst aufgegebenen Kinos aus den vierziger Jahren befand, war nicht nach dem amerikanischen Präsidentenwohnsitz, sondern nach dem gleichnamigen russischen Parlamentsgebäude benannt worden.
Garner konnte den Charakter seines Mittelsmannes nicht genau einschätzen. Er vertraute ihm natürlich unter Einsatz seines Lebens, aber als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, war ihm klargeworden, daß seine sexuelle Andersartigkeit hier ein Nachteil war.
Sie vertrauen dir nicht voll und ganz. Wenn der Mittelsmann ihn nach den Fortschritten seiner Mission befragt hatte, hatte er das Gespräch stets in dieser unbestimmten Art eröffnet.
J
a, mea culpa
. Ich springe mit dir härter um als mit meinen normalen Agenten. Aber das hängt damit zusammen, daß sie mich auch härter anfassen, wenn es um dich geht.
Aber sie hatten Garner genug vertraut, um ihn in die Einflußsphäre der Bonita-Zwillinge einzuschleusen. Das war das Paradoxe an der Politik des FBIs‚ und das würde sich nie ändern.
Seit Garner der ACTF beigetreten war, war sie von Unruhen erschüttert worden. Die meisten seiner Informationen beruhten auf Gerüchten, die er in schummrigen Bars gesammelt hatte. Es ging um geheime Pläne, die viel mit dem bürokratischen Sumpf zu tun hatten, der fester Bestandteil jeder Bundesbehörde war. Vielleicht hätte er diese Gerüchte einfach als Teil der Paranoia ansehen sollen, die in diesem morastigen Gelände dazugehörte. Selbst in den unangenehmen Zeiten, da er darauf gewartet hatte, wieder eingesetzt zu werden, hatte er die veränderten Vibrationen wahrgenommen, als hätte man tief im Zentrum der Dinge einen sich beschleunigenden Rhythmus - wie undeutlich auch immer - hören können. Nichts Definitives natürlich, nur die Echos mündlicher Informationen: Hier gab es eine veränderte Direktive, dort personelle Veränderungen. Einmal wurden die Agententeams in Südostasien verkleinert, dann wiederum andere in Lateinamerika verstärkt. Das alles war geschehen, bevor Spaulding Gunn vor drei Jahren zum neuen Direktor der ACTF ernannt worden war. Ziemlich bald danach hatten sich die geheimnisvollen Signale in der Dunkelheit aufgelöst, und seitdem ließen sich die Verbreitet der Gerüchte über aktuellere Themen, die mehr hergaben, aus.
Garner wußte nicht, was das alles zu bedeuten hatte, aber vor achtzehn Monaten hatte ihn sein Mittelsmann mit einer verdeckten Aktion im Dunstkreis der Bonita-Zwillinge betraut. Warum hatten die Bonitas für die ACTF plötzlich oberste Priorität? Bis letzte Woche hatte Garner keine Ahnung gehabt. Sein Mittelsmann hätte es ihm bestimmt nicht erzählt. Tatsächlich hatte Garner auch kein großes Interesse an Spekulationen. Man erwartete von ihm, daß er, mit der Hand auf dem Herzen und in die Nationalflagge gehüllt, weiterkämpfte, Befehle befolgte
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