Schwarze Herzen
Gefängniskoller abgetan. Jetzt konnte er es nicht mehr abtun. Er war kein Gefangener, er war ein Wärter. Er war zum Leben erwacht, und er brauchte mehr. Mehr von ihr, einzig und allein von ihr. Doch sie behauptete, sie habe bloß mit ihm gespielt.
Mit ihm gespielt, verflucht noch mal! Das als Lüge zu entlarven war für ihn wichtiger als der nächste Atemzug. Der ihm ziemlich wichtig war. Er verstand das nicht. Schließlich war sie eine Verdammte, die auf ewig weggesperrt war, sie würden niemals ein gemeinsames Leben führen können! Nicht einmal, wenn er sie befreite. Denn dann würde er eingesperrt oder hingerichtet werden. Anders als sie war er nicht bereit, das zu riskieren.
Doch dass sie vor Jahrhunderten alles riskiert hatte … weckte tiefe Demut in ihm. Dieses Gefühl hatte er noch immer nicht verwunden.
Sie musste ihn immer noch wollen.
Eine Woche lang bemitleidete sich Atlas für seine Misere und fragte sich, was er tun sollte. Und während der ganzen Zeit blieb er Nikes neuer Zelle fern. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, an sie zu denken. Was tat sie gerade? Dachte sie an ihn? Träumte sie von ihm und diesem unglaublichen Kuss?
Jedenfalls tat er das. Sobald er die Augen schloss, sah er ihr vor Erregung glühendes Gesicht. Ein Gesicht, das bezaubernd war. Von „keine schöne Frau“ zu „hübsch“ zu „bezaubernd“ in nicht einmal einer Woche. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Aber das Lob ihrer Schönheit war berechtigt. Ihre Wimpern waren lang und dicht wie schwarzer Samt. Samt, der sinnliche schokoladenfarbene Augen umrahmte. Ihre Wangen waren seidig, zarte Haut, die dazu einlud darüberzustreichen – und ihre vollen roten Lippen schmeckten süßer als Ambrosia. Und all diese Kraft … Allein bei der Erinnerung daran spürte er seinen Schaft härter und länger werden. Mit wilder Hemmungslosigkeit hatte sie ihm den Rücken zerkratzt. Die Spuren waren noch immer zu sehen.
Na gut. Dann hatte er eben nicht die Wahrheit gesagt. Sie waren definitiv noch nicht miteinander fertig. Diesen Rausch musste er unbedingt noch einmal erleben.
Schließlich ertrug er es nicht länger, sie nicht zu sehen. Zum Glück war seine Schicht vorbei. Eine Schicht, die daraus bestanden hatte, durch die Korridore zu patrouillieren, die Gefangenen in ihren Zellen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass alle ruhig blieben.
Das hätte ihn langweilen sollen. Schließlich war er ein Krieger. Doch das tat es nicht. Und das wiederum hätte ihn ärgern sollen. Immerhin hatte er ungezählte Jahrhunderte an diesem Ort verbracht – und sich geschworen, niemals zurückzukehren, wenn er erst einmal entkommen war. Doch Ärger verspürte er ebenso wenig. Er hatte diesen Job gewollt, um in Nikes Nähe zu sein. Um seine Rache zu bekommen, hatte er sich damals gesagt. Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Heute, und eigentlich schon die ganze Woche über, war er voller Elan durch die Gänge geschritten – das Wissen im Hinterkopf, dass er einfach nur um eine Ecke biegen musste, um sie zu erblicken.
Was er sich natürlich nicht gestattet hatte. Bis jetzt. Endlich würde er sie sehen.
Sobald sie in sein Blickfeld kam, erhitzte sich sein Blut, und die Luft in seinen Lungen fühlte sich an, als würde sie ihn voninnen heraus verbrennen. Nike saß auf ihrer Pritsche, die Finger um das metallenen Bettende geschlossen, den Oberkörper leicht vorgebeugt und die Knie an die Brust gezogen. Ihr Haar lag perfekt, und ihre verengten Lider verbargen ihre braunen Augen vor ihm – und die Gefühle, die sich darin spiegeln mussten. Dafür sah er die Schatten, die ihre Wimpern auf ihre Wangen warfen. Schatten, die er mit dem Finger nachfahren könnte. Oder mit der Zunge.
Oh ja. Sie war bezaubernd.
„Wo ist deine Freundin?“, hörte er ihre seidige Stimme. Doch unter dieser Seide meinte er eine Spur Wut zu entdecken.
War sie wütend, dass er hergekommen war? Oder dass er so lange weggeblieben war?
„Ich hab keine Freundin.“ Auch wenn Mnemosyne weiterhin versuchte, das zu ändern.
Obwohl er sie jedes verdammte Mal abwies.
Nike zuckte mit den Schultern. „Schade für dich, dass sich Huren nie auf jemanden festlegen.“
Er wusste, dass in ihren Augen er die Hure war, und knackte mit dem Kiefer. Doch das hatte er wohl verdient. „Ich hab getan, was ich tun musste, um zu entkommen, Nike. Das bedeutet nicht, dass ich nichts für dich …“ Nein. Oh nein. Dieses Thema würde er nicht anschneiden. Er hatte nichts für sie
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