Schwarzer, Alice
Gefängnis sind - wieder zusammengefunden. Die Frauen
veröffentlichten ein Statement: »Wir stehen hier, um gemeinsam unsere Sorgen
über die wachsende Gewalttätigkeit in der Gesellschaft zu äußern. Wir stehen
für Gewaltlosigkeit.« 50 Einzelpersonen haben unterschrieben, in ihrem Namen,
nicht in dem einer Gruppierung.
Die Sorge der Unterzeichnerinnen bezieht sich dabei nicht
nur auf die Gewalttätigkeit der Milizen, der Gefängniswärter und des
Geheimdiensts; sie hat auch die jungen Protestlerlnnen im Visier, die den
Beleidigungen und der Brutalität der bewaffneten Verteidiger des Regimes ihre
Wut entgegenschleudern. Geschichten von brennenden Polizeimotorrädern und
Regierungsgebäuden machen die Runde. Und es ist die Rede von kleinen Gruppen
junger Frauen, die mit den kämpferischen Männern gleichziehen.
Heikel ist da die Gratwanderung von Oppositionsführer
Mousavi. Er hat die Verantwortung, dass es zu keinen Massakern unter seinen
Anhängern kommt, und er muss die Hoffnung auf einen Wechsel offenhalten. Dafür
hat er nichts als seine Stimme. Aber bislang, so Shadi Sadr, wird gewaltsamer
Widerstand von nur ganz wenigen Parteigängern der Grünen Bewegung begrüßt - die
vielen Tausend Toten der Revolution von 1979 stecken den Menschen noch immer in
den Knochen.
Doch der Aufruf zur Gewaltlosigkeit schützt die Frauen
nicht. Sahra Rahnaward, Ehefrau von Mousavi, wurde auf einer Versammlung in der
Uni mit Reizgas besprüht und auf einer Kundgebung mit einem elektrischen
Knüppel geschlagen. Von Fatemeh Karrubi, der Ehefrau des anderen
Oppositionsführers, ist zu hören, dass ihre Wohnung während ihrer Abwesenheit
von bezahlten Randalierern demoliert worden sei.
Wo aber bleibt die bis vor Kurzem noch so lebendige Frauenbewegung?
»Schockgefroren«, wiederholt Shadi Sadr. Gerade wurde auch die Aktivistin in
Abwesenheit wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu sechs Jahren Haft und
74 Schlägen verurteilt, berichten entsetzte Studentinnen aus dem Iran. »Glut
unter der Asche« - diese Worte hört man inzwischen immer wieder. »Wenn der
Wind das Feuer erneut anfacht, sind wir alle wieder da.«
Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen ist inzwischen
weiblich, die Forderungen nach Gleichheit werden mit Sicherheit auch in Zukunft
nicht verstummen. Und es gibt eine neue Gemeinsamkeit der Generation, die der
Protest erweckt hat. Rührend und bezeichnend ist da die Geschichte eines
Ayatollah und seiner zwei Töchter. Als die beiden Studentinnen von einem
Besucher gefragt wurden, ob sie die Geschichten ihres Vaters von der heroischen
Revolution von 1979 nicht manchmal satthätten, antworteten sie: »Ja. Aber
nachdem wir selbst an den Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen
teilgenommen haben, haben wir nun unsere eigenen Erfahrungen mit der Despotie.
Unser Vater kämpfte gegen den Schah und wir gegen den, sagen wir: neuen Schah.
Und so kämpfen wir inzwischen gemeinsam gegen Despotie.«
Selbstbewusst bewegen sich die jungen Frauen heute in der
Öffentlichkeit, neugierig und freundlich sprechen sie die Frauen aus dem
Ausland an, Politik ist allerdings kein Thema. Aber dann schenkt mir eine junge
Lehrerin in Shiraz, beim Grab des von allen Iranern verehrten Dichters Hafez, ein
Poster, darauf Zeilen in der wunderschönen persischen Kalligrafie. Was denn da
stünde, frage ich sie. »Wissen Sie, dass der persische Herrscher Cyros die
erste Erklärung universaler Menschenrechte verfasst hat? Hier steht sie. Ein
Geschenk für Sie.« Lächelt, winkt und geht. ■ EMMA
3/2010
ALICE SCHWARZER / IRAN 1979: DIE
BETROGENEN
Die jungen Männer strahlen. Guerilla-Look mit Blumen in
den Gewehrläufen, so ziehen sie vorbei: Helden der Revolution, zu Tausenden auf
dem Weg zum ersten großen Militäraufmarsch. Die alte Diktatur ist tot, die
neuen Herren demonstrieren ihre Macht. Ganz ähnlich muss das ausgesehen haben
in Portugal, in Kuba, in Algerien.
Sie waren meine erste Begegnung auf dem Weg vom Teheraner
Flughafen zum Hotel. Als ich sie sah, musste ich daran denken, dass es noch vor
wenigen Wochen Frauen waren, die bei Demonstrationen in den vordersten Reihen
gingen. Tief verschleiert. So auch am 8. November 1978, dem berüchtigten
Schwarzen Freitag, wo allein an diesem Tag 4.000 Schahgegner auf der Straße
erschossen wurden, darunter 700 Frauen.
Damals stand in Springers Welt übrigens nicht: Jetzt schießen sie auch auf Frauen. Damals
waren Menschenrechtsverstöße des prowestlichen Schahs, waren
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