Schwarzer, Alice
Frauen sind fast
ausnahmslos vor wenigen Wochen oder Monaten aus dem Exil zurückgekommen, ihre
Vorstellung von Emanzipation ist importiert. Und dennoch sind auch sie pro Khomeini
(»Wir verehren ihn alle sehr für das, was er für den Iran getan hat«) und
halten auch sie die Befreiung der Frau und den islamischen Glauben für
vereinbar (»Im Koran steht nichts gegen Frauen«).
Da ist die europäisch gekleidete Studentin, der wir auf
dem Universitätsgelände begegneten, und die uns auf die Frage nach dem Schleier
antwortet: »Na und? Wenn's den Frauen gefällt... Was jetzt zählt, ist die
Revolution und sonst nichts.«
Da ist die persische Französischlehrerin, zufällig auf der
Straße kennengelernt, deren Mutter schon keinen Schleier mehr getragen hatte
und die selbst den Schador nur bei Protestdemonstrationen gegen den Schah
trug. Am 8. März war sie eine der Frauen, die spontan auf die Straße gingen:
gegen den Schleierzwang und die neue Einschränkung von Frauenrechten. Nun aber
sagt sie zögernd: »Das ist jetzt alles nicht mehr so wichtig. Wir müssen erst
unser Land aufbauen.«
Da sind die kichernden jungen Mädchen auf der Straße,
unter deren knöchellangem schwarzen Schador gerade noch die Jeans und die
bunten Tennisschuhe vorblitzen. Daneben in der Zeitung die Meldung, die
Ehefrauen der Minister Bazargans hätten erklärt, sie hätten den Schleier nie
getragen und hätten auch in Zukunft nicht die Absicht, es zu tun.
Und da sind die tief verschleierten Frauen der gerade
gegründeten Islamischen Frauenunion. Auch sie erkämpften den Umsturz, nicht
selten mit der Waffe in der Hand. Auch sie hoffen auf volle Gleichberechtigung
im politischen und beruflichen Leben. (»Wir können uns sehr gut vorstellen,
dass eine Frau eines Tages Ministerpräsident unseres Landes wird!«) Und dennoch
halten sie, ganz nach der offiziellen Männerversion, die Frauenproteste des 8.
März für Komplotte der Savak (Geheimdienst des Schahregimes) und der CIA.
Und sie alle - egal ob sie jetzt für oder gegen den
Schleier kämpfen -, sie alle werden betrogen werden! Sie werden ein weiteres
tragisches Exempel liefern dafür, dass Menschen, die nicht für ihre eigenen
Rechte kämpfen, vergessen werden. Doch wenn sie es merken, wird es zu spät
sein. Denn sie haben sich ihren Protest zu gutgläubig wieder ausreden lassen.
Und sie haben keine eigene Organisation, ihre Ohnmacht zeigt sich schon jetzt.
Bereits Wochen vor dem endgültigen Sturz des Schahs stellten
Perserinnen öffentlich die Frage: Was wird danach mit uns Frauen? Die Antwort
ließ nicht lange auf sich warten. Vor dem Machtwechsel noch um diplomatische
Formulierungen bemüht, verloren die Ayatollahs danach keine Zeit mehr.
Ayatollah Schiriat Madari, als »liberal« bekannt, führte den ersten Schlag: Im Kayhan erklärte er, in einer islamischen Republik könnten Frauen
nicht mehr Richter sein, denn sie seien bekannterweise zu emotional.
24 Stunden später widersprachen zehn Richterinnen in derselben
Zeitung energisch. Und wenige Tage danach veröffentlichte die winzige
Teheraner Feministinnengruppe, die maximal einige Dutzend Aktivistinnen zählt,
eine Anzeige im Kayhan. Zum
»Internationalen Tag der Frau« suchte das frisch gegründete »Komitee zur
Organisation des 8. März« Mitstreiterinnen. Kateh: »Wir dachten, das könnte ein
Anfang sein.«
Reaktion: circa 40 Briefe, 300 Frauen beim ersten Treffen
am 24. Februar und die ersten Schwierigkeiten. Für eine zweite Versammlung
bekamen die Frauen schon keinen Raum mehr. Argument: »Der Koran verbietet den
8. März.«
Und schon erfolgte der bisher spektakulärste Angriff auf
die Frauen. Aus der »heiligen Stadt« Chom verkündete Khomeini erneut den
Schleierzwang, die Aufhebung der Koedukation und die Annulierung des
Familiengesetzes, das unter dem Schah zumindest theoretisch die Scheidung
möglich gemacht, die Vermögensverhältnisse zwischen den Geschlechtern
einigermaßen gerecht geregelt und dem Mann statt vier »nur noch« zwei Frauen
zugestanden hatte.
Von diesem Tag an sprachen die Ansagerinnen im Fernsehen
die Nachrichten verschleiert...
Zur Explosion fehlte nur noch ein Funke. Der flog am Morgen
des 8. März. Ausgerechnet. Tausenden von weiblichen Bankangestellten wurde an
diesem Tag der Zugang zu ihren Arbeitsstellen verweigert: »Geht erst mal nach
Hause und zieht euch anständig an, statt so nackt herumzulaufen.« Nackt meint:
ohne Schleier. Manche Frauen wurden auch tätlich angegriffen. Eiferer
Weitere Kostenlose Bücher