Schwarzer, Alice
Folter und
Benachteiligung kein Thema für weite Teile der westlichen Presse.
Nun machen die armen iranischen Frauen und ihr verzweifelter
Protest plötzlich Furore in einer Presse, der einheimischer Frauenprotest sonst
keine Zeile, geschweige denn eine Schlagzeile wert ist. Warum? Um uns zu
zeigen, dass wir Frauen hier froh sein können, nicht verschleiert gehen zu
müssen? Um ein Regime zu diskreditieren, unter dem die Menschen auch nicht frei
sein werden, schon gar nicht die Frauen, das aber für viele bedeutend lebbarer
sein wird als das vorhergehende?
Diese Frage und noch viel mehr stellten sich mir vor der
Reise. Doch so schwer es schien, die Dinge aus der Ferne zu beurteilen, so
sicher war es, dass hier etwas Unerhörtes passierte: Zum ersten Mal in der
jüngeren Geschichte stellten Frauen noch in der Stunde null auch die Frage
nach ihrem Schicksal! Zum ersten Mal in einem so dramatischen historischen
Augenblick demonstrierten Frauen öffentlich: Wir sind nicht bereit, bei der
Verteilung der gemeinsam erkämpften Freiheiten zurückzustehen! Und wir sind
schon gar nicht bereit, zusätzliche Unfreiheiten hinzunehmen!
Der Schleier wurde zum tragischen Symbol: Einst Zeichen
des Kampfes gegen die Zwangsverwestlichung, ist er jetzt Zeichen einer neuen
Unterwerfung. So kommt es, dass Frauen, die früher aus Protest gegen den Schah
den Schleier trugen, jetzt aus Protest gegen den Schleier auf die Straße
gingen.
Das sind Dinge, die wir in diesen drei Tagen begriffen
haben. Wir: die 18 Frauen des zu diesem Anlass hastig in Paris gegründeten
Komitees zur Verteidigung der Rechte der Frauen. Eingeladen von niemandem,
gekommen aufgrund der Hilferufe einiger iranischer Frauen.
Schon am Flughafen empfing uns eine Gruppe erstaunter
Auslandskorrespondenten. Bis zuletzt hatten sie nicht damit gerechnet, dass wir
überhaupt ins Land gelassen würden. Schon gar nicht an diesem Morgen des 19.
März, an dem am selben Ort und zur selben Stunde Kate Millett nach einer
Abschiebehaft von 20 Stunden zwangsweise via Okzident geschickt worden war.
Bei ihrer Ankunft in Paris sprach die amerikanische
Feministin, die eingeladen von iranischen Feministinnen zehn Tage lang
streitbar am Frauenprotest, an Meetings und Demonstrationen teilgenommen hatte,
dann von der schrecklichsten Erfahrung ihres Lebens und vom Polizeistaat Iran (so
zitiert vier Tage später in der internationalen Ausgabe des Kayhan, der größten Tageszeitung des Landes).
Harte Worte, die vielleicht auch dazu beitrugen, dass wir
Frauen vom Komitee zwar zunächst reserviert, dann aber plötzlich auffallend
zuvorkommend behandelt wurden, bis hin zum Empfang bei den politischen und
religiösen Führern des Landes, bei Ayatollah Taleghani und Khomeini sowie dem
Ministerpräsidenten Bazargan.
Was uns denn die Herren gesagt hätten, wurde ich nach meiner
Rückkehr oft gefragt. Nun, das Übliche. Wobei es zwei Sorten von Patriarchen
gibt im Iran: die Hemmungslosen, nämlich die Religiösen, die uns wie Taleghani
auf die Frage nach den Rechten der Frau schlicht antworteten: Das erste Recht
der Frau ist das auf einen Ehemann, das zweite das auf die Mutterschaft; und
die Taktischen wie Ministerpräsident Bazargan, der grundsätzlich
selbstverständlich für die Gleichberechtigung ist, konkret in allem ausweicht
und sich ansonsten gern auf den natürlichen Unterschied beruft: Mann und Frau
sind komplementär. Das klingt in Teheran nicht anders als in Bonn.
Das Bemerkenswerte an diesen Begegnungen waren wohl nicht
die gewechselten Worte, sondern war die Tatsache, dass sie überhaupt
stattfanden: dass Regierungschefs in bewegten Krisenzeiten 18 Ausländerinnen
empfangen, die öffentlich im Ausland verkündet hatten, sie kämen aus Sorge um
die Lage der Iranerinnen.
Eine Geste, die ohne Zweifel nicht nur der ausländischen
Imagepflege, sondern auch der inländischen Beruhigung galt. Denn die neuen
Herrscher waren ein wenig voreilig gewesen, hatten gar zu rasch Platz genommen
im Herrensattel und den Frauen die Steigbügelhalter-Position zugewiesen.
Und sie, die iranischen Frauen selbst? Nur eine Minderheit
ist beunruhigt, die Mehrheit vertraut den neuen Machthabern. Das wurde uns klar
in diesen drei Tagen, in denen wir zahlreiche Frauen aus verschiedensten
politischen Lagern trafen.
Da ist Kateh, die Feministin, die schon jetzt Angst hatte,
in unser von Khomeini-Garden bewachtes Hotel zu kommen. Wir trafen sie und ihre
Freundinnen versteckt, in wechselnden Wohnungen. Diese
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