Schwarzer Mittwoch
die Träume verblassen ließ.
Stattdessen kamen die Wellen, eine nach der anderen, jede noch heftiger als die vorherige. Sie türmten sich auf und donnerten über sie hinweg, rissen sie nach unten und spuckten sie anschließend wieder aus. Diese Wellen waren in ihr, sie peitschten durch ihren Körper und ihren Geist, und zugleich waren sie auch außen. Während Frieda so dalag, auf eine dumpfe Weise wach, mischten sich Erinnerungen in die verblassenden Träume. Gesichter leuchteten in der Dunkelheit auf, Hände streckten sich nach ihr aus. Frieda versuchte sich an das zu klammern, was Sandy Nacht für Nacht zu ihr gesagt hatte, und sich selbst aus dem Chaos zu ziehen, das sich in ihr breitgemacht hatte: Es ist vorbei. Du bist in Sicherheit, ich bin hier bei dir.
Sie tastete nach der Stelle, wo eigentlich Sandy liegen sollte. Aber er war nach Amerika zurückgekehrt, sie hatte ihn sogar zum Flughafen begleitet. Dabei waren ihre Augen trocken geblieben, und nach außen hin bewahrte sie selbst dann die Fassung, als er sie mit gequälter Miene in seine Arme nahm, um sich von ihr zu verabschieden. Während er durch die Kontrolle in den Abflugbereich ging, blickte sie ihm nach, bis von seiner hohen Gestalt nichts mehr zu sehen war. Sie hatte ihm nie verraten, wie knapp sie davor gewesen war, ihn zu bitten, bei ihr zu bleiben, oder sich bereit zu erklären, ihn zu begleiten. In ihren letzten paar gemeinsamen Wochen war zwischen ihnen eine große Vertrautheit entstanden. Frieda hatte zugelassen, dass sich jemand um sie kümmerte, und ihre eigene Schwäche gespürt. Dabei waren Gefühle in ihr hochgekommen, die sie bis dahin nie gekannt hatte und nun nicht einfach zurück in die Tiefe sinken lassen konnte. Letztendlich fürchtete sie sich gar nicht so sehr vor dem schmerzlichen Gefühl, ihn zu vermissen, sondern mehr vor dem langsamen Nachlassen dieses Schmerzes – davor, dass ihr geschäftiges Leben allmählich wieder die Leerräume füllen würde, die Sandy hinterlassen hatte. Manchmal setzte sie sich in ihr kleines Arbeitszimmer unter dem Dach und skizzierte mit einem weichen Bleistift sein Gesicht. Sie rief sich die genaue Form seines Mundes ins Gedächtnis, die kleinen Furchen, die die Zeit in seine Haut gegraben hatte, den Ausdruck seiner Augen. Dann legte sie den Stift beiseite und ließ sich von der Erinnerung an ihn durchfluten, einem langsamen, tiefen Fluss in ihrem Innern.
Einen Moment lang gestattete sie sich, ihn sich an ihrer Seite vorzustellen – was für ein Gefühl es wäre, sich jetzt umzudrehen und ihn neben sich zu sehen. Aber er war fort und sie allein in einem Haus, das ihr früher wie ein sicheres, behagliches Refugium erschienen war, seit ein paar Wochen jedoch – seit dem Überfall, der sie fast das Leben gekostet hatte – bedrohlich knarrte und knisterte. Sie lauschte. Erst hörte sie nur den Puls ihres eigenen Herzens, doch dann, ja, ein Rascheln an der Tür, ein schwaches Geräusch. Aber es war nur die Katze, die im Raum umherwanderte. In diesem Schwebezustand vor dem Morgengrauen empfand Frieda das Tier manchmal als eine sehr düstere Kreatur. Seine zwei früheren Besitzer waren beide tot.
Noch immer fragte sie sich, was sie wohl geweckt hatte. Sie wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass ein Geräusch in ihren Halbschlaf gedrungen war – nicht das ferne Rauschen des Verkehrs, das in London niemals aufhört, sondern etwas anderes. Im Haus.
Frieda setzte sich auf und lauschte noch einmal angestrengt, vernahm aber nur den leichten Wind draußen. Als sie schließlich die Beine aus dem Bett schwang, spürte sie, wie die Katze sich schnurrend dagegenschmiegte. Mühsam stand sie auf. Sie fühlte sich immer noch schwach und flau von den Schrecken der Nacht. Sie hatte etwas gehört, da war sie ganz sicher. Irgendwo unten. Vorsichtig schlich sie bis zum Treppenabsatz, griff nach dem Geländer und begann die Treppe hinunterzusteigen. Auf halber Höhe hielt sie einen Moment inne. Das Haus, das sie so gut kannte, war ihr fremd geworden, es steckte plötzlich voller Schatten und Geheimnisse. Unten in der Diele angekommen, blieb sie erneut stehen und lauschte, aber da war nichts, niemand. Sie schaltete das Licht an und blinzelte kurz, weil die plötzliche Helligkeit sie blendete. Dann entdeckte sie es: ein großes braunes Kuvert auf der Fußmatte. Sie beugte sich hinunter und griff danach. Auf dem Umschlag prangte in kühnen Lettern ihr Name: Frieda Klein. Dick unterstrichen. Die Linie verlief leicht
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