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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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diagonal und schnitt hinten in das ›n‹.
    Frieda starrte gebannt auf die wenigen Buchstaben. Sie kannte die Schrift. Nun wusste sie endgültig, dass er in der Gegend war – draußen auf der Straße, ganz nahe an ihrem Zuhause, ihrem Zufluchtsort.
    Wie in Trance zog sie eine Jogginghose, ein T-Shirt und einen Trenchcoat an, schlüpfte barfuß in die Stiefel, die neben der Haustür standen, nahm den Schlüssel vom Haken und trat hinaus in die Dunkelheit. Ein kühler Aprilwind wehte ihr entgegen, und auch ein Hauch von Regen. Frieda starrte die gepflasterte kleine Gasse entlang, in der früher Stallungen gestanden hatten, doch es war niemand zu sehen. So schnell ihr schmerzender Körper es erlaubte, stürmte sie – halb humpelnd, halb laufend –, auf die Straße hinaus, wo die Lampen bereits ausgeschaltet waren. Sie ließ den Blick in beide Richtungen schweifen. Wohin war er wohl gegangen, nach Osten, Westen, Norden oder Süden? In Richtung Fluss oder hinein ins Labyrinth der Straßen? Oder versteckte er sich in irgendeinem Hauseingang? Sie wandte sich nach links und eilte den feuchten Gehsteig entlang, wobei sie leise vor sich hinfluchte, weil sie sich nicht schneller bewegen konnte.
    Als Frieda schließlich auf eine breitere Straße gelangte, erkannte sie etwas in der Ferne – eine unförmige Gestalt, die sich auf sie zubewegte: definitiv ein menschliches Wesen, aber dennoch größer und seltsamer, als ein Mensch eigentlich aussehen konnte. Die Rechte ans Herz gepresst, stand sie da und wartete, während die Gestalt sich ihr näherte, bis sie sich schließlich als Radfahrer entpuppte, der am Rahmen seines Rades Dutzende von Plastiktüten hängen hatte und daher nur ganz langsam vorwärtskam. Frieda kannte den Mann vom Sehen, sie begegnete ihm fast täglich. Er hatte einen wilden Rauschebart und radelte mit ruhiger Entschlossenheit dahin. Als er schließlich auf seinem fahrbaren Untersatz an ihr vorbeischwankte, starrte er blicklos durch sie hindurch. Frieda fand, dass er ein bisschen aussah wie ein Weihnachtsmann – aber einer aus einem schlimmen Traum.
    Es hatte keinen Sinn. Dean Reeve, der ursprünglich von ihr gejagte Verbrecher, der sie nun seinerseits wie ein Stalker verfolgte, konnte inzwischen weiß Gott wo sein. Sechzehn Monate zuvor war er durch ihre Mithilfe als Kindesentführer und Mörder entlarvt worden, hatte sich jedoch durch vorgetäuschten Selbstmord der Festnahme entzogen. Vor zwei Monaten war Frieda dahintergekommen, dass er noch lebte. Der Mann, der damals von einer Brücke am Kanal hing, war in Wirklichkeit sein eineiiger Zwilling Alan gewesen, ein früherer Patient Friedas. Dean trieb sich immer noch irgendwo herum und wachte über sie – schützend und tödlich zugleich. Er war derjenige gewesen, der ihr das Leben gerettet hatte, als sie von einer gestörten jungen Frau mit einem Messer attackiert worden war, wobei allerdings für die alte Frau, zu deren Rettung Frieda eigentlich herbeigeeilt war, jede Hilfe zu spät kam. Dean war damals aus dem Schatten aufgetaucht wie eine Kreatur aus Friedas schlimmsten Albträumen und hatte sie aus der Dunkelheit zurückgeholt. Nun ließ er sie wissen, dass er immer noch über sie wachte. Ihr verhasster Beschützer. Ständig hatte sie das Gefühl, aus verborgenen Winkeln seinen Blick zu spüren, wenn sich irgendwo ein Vorhang leicht bewegte oder eine Tür sich leise schloss. Würde das nun immer so bleiben?
    Sie drehte sich um und machte sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, griff sie erneut nach dem Umschlag und ging damit in die Küche. Da sie genau wusste, dass sie nun sowieso nicht mehr schlafen konnte, brühte sie sich Tee auf. Erst als er fertig war, ließ sie sich am Küchentisch nieder und schob den Finger unter die Gummierung des Umschlags. Sie zog ein steifes Blatt Papier heraus und legte es auf den Tisch. Es handelte sich um eine Bleistiftzeichnung, besser gesagt um ein Muster, das ein bisschen aussah wie die mathematische Darstellung einer gefüllten Rose, mit sieben vollkommen symmetrischen Seiten. Die Linien waren offensichtlich mit einem Lineal gezogen. Als Frieda das Ganze genauer unter die Lupe nahm, stellte sie fest, dass an manchen Stellen Fehler ausradiert worden waren.
    Nachdem sie eine Weile mit gerunzelter Stirn auf das vor ihr liegende Bild hinuntergestarrt hatte, schob sie es behutsam zurück in den Umschlag. Wut loderte in ihr hoch wie ein Feuer. Frieda war froh darüber: Lieber wollte sie vor Wut verbrennen als in

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