Schwarzer Rauch
Erleuchten.
Ich konnte nicht nur seine Gedanken lesen, ich konnte alles von ihm erfahren. Seine tiefsten Ängste, die im Verborgenen schlummerten, seine Gefühle über das, was er war, seine Trauer über bereits verstorbene Verwandte. All diese Eindrücke waren durchzogen von einem glitzernden weißen Band: der Liebe zu mir. Am Anfang dieses Bandes konnte ich die ersten zaghaften, vorsichtigen Empfindungen für mich erkennen. Dort war es fadenscheinig und dünn, stellenweise noch nicht richtig weiß. Doch mit der Zeit muss das Gefühl für mich immer stärker geworden sein – ohne dass ich auch nur einen Hauch davon mitbekommen habe! Was war ich für eine miese Telepathin!
Instinktiv wich ich aus der Umarmung zurück. Darian spürte die Veränderung meiner Stimmung und fragte mich sofort, was los war. Ich erklärte ihm, wie dämlich ich war. Dass ich nicht erkannt hatte, was er für mich empfinden würde.
Er lächelte mich liebevoll an und zog mich wieder zu sich heran. Mein Innerstes sagte mir, dass ich mich hier bei ihm vollkommen fallen lassen konnte und das tat ich auch. Alles brach aus mir heraus: der Stress mit Sina, die ständigen intimen Einblicke, die ich am liebsten zum Teufel schicken würde, wie mich dieses Doppelleben zu zerreißen drohte, weil ich mit niemandem darüber reden konnte. Darian hörte mir geduldig zu und meldete sich erst zu Wort, als ich meinen Monolog beendet hatte und all die Dinge, die mir auf der Seele gebrannt hatten, ausgesprochen waren.
»Es wird alles gut. Von nun an wirst du nie wieder alleine sein.«
Es tat gut, das von ihm zu hören. Ich wusste bis zu dieser Nacht nicht einmal, dass ich etwas vermisst hatte. Aber nun schien sich dieses Loch, das ich in mir spürte, zu füllen. Mit jeder Geste, jedem Lächeln, jeder Berührung von Darian verschwand die Leere immer weiter. Ich hatte meinen Seelenverwandten gefunden. Dieses Gefühl war inniger und tiefer als die Emotionen jener Nacht, in der wir mit unseren Gaben beschenkt wurden.
Halbzeit
Weitere drei Monde vergingen. Bald sollte die zweite Stufe der Ausbildung beginnen. Ich konnte die Telepathie immer besser kontrollieren, konnte mich sogar über einen längeren Zeitraum hinweg ohne Anstrengung abschotten. Die Ruhe in meinem Kopf tat gut. Als würde man nach einem turbulenten, geräuschvollen Tag endlich zuhause sitzen, Türen und Fenster schließen und die Ruhe genießen. Einfach nur befreiend.
In den letzten drei Monaten lief es mit mir und Darian jeden Tag besser. Wir vertrauten uns all unsere Sorgen und Ängste an, wir arbeiteten gemeinsam an unseren Kräften und unterhielten uns im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt - schließlich war das ein Teil unseres Unterrichtsstoffes.
Auch was den intimeren Part unserer Beziehung angeht, schritten wir etwas weiter voran, auch wenn ich noch nicht dazu bereit war, bis zum Ende zu gehen. Ich genoss seine Küsse und auch die zärtlichen Umarmungen. Solange ich diese Momente noch so fantastisch fand, warum sollte ich weiter gehen, wenn sich mein Innersten dagegen sträubte.
In klaren Momenten, wenn ich nur an Darian dachte, mich an diese Verbundenheit erinnerte, begehrte ich ihn, wie ich noch nie zuvor etwas gewollt hatte. In seiner Gegenwart schob sich eine imaginäre Barriere zwischen mich und diesen einen Gedanken. Darian war der Meinung, ich sollte meine Mentalkräfte nicht unterschätzen und darauf hören. Er würde warten, bis ich zu mehr bereit war.
Heute war wieder Vollmond und wir hatten uns für abends an »unserem Ort« verabredet. Die Hundemama war inzwischen mit ihren Jungen ausgezogen und wir trafen uns dort oft, um ungestörte Unterhaltungen führen zu können. Im Aufenthaltsraum war die Aussicht auf Zweisamkeit gleich Null.
Nach dem Unterricht lief ich also direkt durch den Garten zur wilden Hecke. Ich fragte mich, ob der heutige Vollmond Ursache meines Zustandes war. Schon den ganzen Tag stand ich unter Strom. Als ich das Geäst durchdrungen hatte, war ich wie erstarrt. Mein Blick musste Bände gesprochen haben, denn Darian sprang mir sofort entgegen und fragte mich, ob es mir nicht gefallen würde.
Nicht gefallen? Es war das Romantischste, das jemals ein Junge für mich getan hatte. Darian hatte unsere persönliche Höhle mit weißen Bändern und Kerzen dekoriert. Auf dem Boden lagen einladende Decken. Dieser Ort konnte einen den Rest der Welt vergessen lassen. Alles, was ich zum Leben brauchte, war hier. Hier bei mir, zum Greifen
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