Schwarzer Regen
vaterländisches Lied singen: „Unter den Wogen legt mich zur Ruh…“ Danach
gab er den Befehl „Weggetreten!“ und sprang als erster in den Fluß, der
Hochwasser führte, weil gerade Flut war. Die ganze Abteilung folgte ihm. Nur
ein Schüler hatte sich nach Hause geschleppt und davon erzählt, und auch der,
hieß es, sei längst tot.
Wahrscheinlich stammte dieser Bericht von einem
Mitglied des Vaterländischen Freiwilligenkorps aus Kobatake, das lebend aus
Hiroshima zurückgekommen war. Wie dem auch sei, die Geschichte von Yasukos
Tätigkeit in der Küche des Arbeitsdienstkorps der Zweiten Mittelschule in
Hiroshima war eine reine Erfindung. Selbst wenn sie in der Küche gearbeitet
hätte, wäre sie als Mädchen wohl kaum dabeigewesen, als sie das Lied „Unter den
Wogen legt mich zur Ruh...“ sangen. In Wirklichkeit hatte sie in den
Japanischen Textilwerken in Furuichi außerhalb Hiroshimas gearbeitet, wo sie
Bote und Sekretärin des Geschäftsführers, Herrn Fujitas, war. Zwischen den
Japanischen Textilwerken und der Zweiten Mittelschule gab es nicht die
geringsten Verbindungen.
Seit sie in Furuichi arbeitete, hatte Yasuko bei
den Shizumas in deren zeitweiligem Heim in Hiroshima gewohnt, im Viertel Sendamachi,
und war jeden Tag in denselben Zug nach Kabe gestiegen wie Shigematsu. Sie
hatte keinerlei Beziehungen zur Mittelschule oder zum Arbeitsdienstkorps. Die
einzige Verbindung, wenn man so wollte, bestand darin, daß ein ehemaliger
Schüler dieser Schule — ein Soldat in der Armee in Nordchina — Yasuko einmal
einen reichlich überschwenglichen Brief zum Dank für ein Päckchen und später
ein paar eigene Gedichte geschickt hatte. Shigematsu erinnerte sich noch daran,
wie Yasuko sie seiner Frau Shigeko gezeigt und wie diese, eigentlich ganz
unangebracht für eine Frau in ihrem Alter, errötend gemeint hatte: „Yasuko, das
sind wohl Liebesgedichte, wie man so sagt.“
Während des Krieges war durch einen Erlaß der
Armee über die Beschränkung der Redefreiheit natürlich die „unverantwortliche
Gerüchtemacherei“ verboten, und die Gesprächsthemen wurden mit solchen Mitteln
wie den Nachrichtentafeln bestimmt, die in jedem Wohngebiet von Familie zu
Familie gingen. Doch als der Krieg vorbei war, verbreiteten sich in Windeseile
Gerüchte und Geschichten jeder Art — über Diebstähle, Überfälle, Spielhöllen,
über Lager mit Armeebeständen und Leute, die über Nacht reich geworden waren, und
über die Besatzer — und wurden mit der Zeit wieder vergessen. Es wäre ja noch
angegangen, wenn man auch aufgehört hätte, über Yasuko zu reden, nachdem man
sich zur Genüge über sie ausgelassen hatte. Aber es wuchs kein Gras drüber;
sobald jemand auftauchte, um Erkundigungen wegen einer eventuellen Heirat
einzuziehen, wurde die alte Geschichte, sie sei in der Küche des
Arbeitsdienstkorps der Zweiten Mittelschule in Hiroshima gewesen, wieder
aufgetischt.
Eine Zeitlang hatte Shigematsu die Idee, den
Schurken, der das unverantwortliche Gerede aufgebracht hatte, aus der Gemeinde
zu vertreiben. Aber außer Shigematsu, seiner Frau und Yasuko waren nur junge
Leute aus Kobatake in Hiroshima gewesen, die zum Vaterländischen
Freiwilligenkorps gehörten oder Mitglieder des Arbeitsdienstes waren. Das
Vaterländische Freiwilligenkorps rekrutierte sich aus jungen Burschen aus den
Landbezirken der Präfektur, die als Arbeitskräfte eingezogen wurden, um
zwangsweise Häuser einzureißen. Das war nötig, damit in den dichtbebauten Stadtteilen
Hiroshimas Brandschneisen geschaffen wurden. Die Jungen aus Kobatake kamen zu
einer Einheit, die den hochtrabenden Namen Kojin-Brigade trug, weil ihre
Mitglieder aus den beiden Bezirken Konu und Jinseki stammten. Sie hatten die
Aufgabe, Wohnhäuser abzureißen. Dazu sägten sie alle Stützpfosten des Hauses
an, befestigten dann ein Tau am First, und zwanzig bis dreißig Mann zogen aus
Leibeskräften, bis das Haus zusammenstürzte. Einstöckige Häuser waren eine
ziemliche Schinderei, man bekam sie nur stückweise runter. Zweistöckige Häuser
waren entgegenkommender und fielen bei einem kräftigen Ruck krachend ein. Die
Staubwolke, die sich dann erhob, machte es freilich unmöglich, sich in den
nächsten fünf Minuten den Trümmern zu nähern.
Allerdings hatten die Jungen von der
Kojin-Brigade und vom Arbeitsdienst noch gar nicht richtig zu Werke gehen
können, denn sie waren kaum einen Tag in Hiroshima, als die Bombe fiel. Wer
nicht auf der Stelle umkam, wurde mit
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