Schwarzer Regen
eigenen Information, beeilte sich die Vermittlerin
hinzuzufügen, und mit dem zukünftigen Gatten sei in keiner Weise über diese
Angelegenheit gesprochen worden.
Shigematsu schwante, daß er die Verantwortung,
die er auf sich genommen hatte, nicht los würde. Seine Frau las den Brief und
reichte ihn wortlos Yasuko; sie saß noch eine Weile reglos da, den Blick auf
den Tatami geheftet, erhob sich dann und ging in das dunkle Hinterzimmer.
Yasuko folgte ihr. Nach einer Weile blickte Shigematsu hinein. Seine Frau hatte
das Gesicht an Yasukos Schulter gedrückt, und beide weinten lautlos. „Na ja — ich
hab doch nicht recht gehabt“, sagte er. „Eine Schande ist das, einen wie einen
unheilbaren Invaliden zu behandeln, bloß weil die Leute blödes
Zeug reden. Laßt sie nur tratschen. Wir werden auch das überstehen. Wir
finden schon einen Ausweg, bestimmt.“ Aber er wußte eigentlich, daß er das nur
sagte, um sich selbst zu beruhigen.
Langsam und niedergedrückt stand Yasuko auf,
nahm ein großes Tagebuch aus der Kommode und reichte es schweigend Shigematsu.
Es war ihr privates Tagebuch über das Jahr 1945; den Deckel schmückten zwei
gekreuzte Flaggen — die Nationalflagge und das Banner der aufgehenden Sonne,
das die Marine führte. Als sie in Sendamachi wohnten, hatte sie jeden Abend
nach dem Essen die Tagesereignisse festgehalten, der runde Eßtisch diente ihr
dabei als Schreibpult, und das wirklich Tag für Tag, ganz gleich, wie müde sie
war. Sie hatte das Buch so geführt, daß sie über die Begebenheiten von ein paar
Tagen jeweils nur knapp in wenigen Zeilen berichtete, aber am fünften oder
sechsten Tag dann die zurückliegende Zeit in einem größeren Abschnitt
ausführlicher beschrieb. Sie war damit Shigematsus eigener Methode gefolgt, die
er seit vielen Jahren praktizierte und die er seiner Nichte gezeigt hatte. Er
hatte sich dieses Schema, das er die „Stopp-Start-Methode“ nannte, ausgedacht,
damit er abends, wenn er spät von der Arbeit heimkam und zu müde war, mehr zu
schreiben, den betreffenden Tag mit ein paar Zeilen abtun konnte.
Shigematsu kam auf die Idee, die entscheidenden
Passagen aus Yasukos Tagebuch abzuschreiben und der Heiratsvermittlerin zu
schicken. Am Anfang wollte er die Eintragungen über einige Tage genauso übernehmen,
wie sie dastanden, und begann mit dem 5. August.
5. August.
Ließ mir vom Geschäftsführer, Herrn Fujita, für
morgen freigeben; ging nach Hause, um unsere Sachen fertigzumachen, die aufs
Land geschickt werden sollen. Aufstellung: Tante Shigekos Sommer- und
Winterfestkimonos (einer davon sehr kostbar, aus gelbgestreifter Seide,
Urgroßmutter soll ihn schon getragen haben, als sie als Braut ins Haus kam) und
vier Sommerkimonos; Onkel Shigematsus Wintermorgenrock, Winter- und
Sommerfestkimonos und ein Festtags-Haori, zwei Winteranzüge, ein Oberhemd, eine
Krawatte und sein Reifezeugnis; meine eigenen Sommer- und Winterfestkimonos,
zwei Schärpen, mein Reifezeugnis. Rollte alles in eine Strohmatte. In einen
Beutel, den ich über der Schulter tragen konnte, packte ich drei Maß Reis, mein
Tagebuch, einen Füllfederhalter, mein Siegel, Sepsotinktur und ein Dreiecktuch.
(Anmerkung von Shigematsu: Unsere Sachen wurden uns ein Jahr nach Kriegsende
vom Lande zurückgeschickt, noch so zusammengepackt wie vorher.)
Mitten in der Nacht Fliegeralarm, ein B-29-Pulk
überflog uns, ohne daß etwas passierte. Entwarnung gegen drei. Als Onkel
Shigematsu von der Nachtwache zurückkam, erzählte er, er habe neulich gehört,
die Bomber hätten Flugblätter abgeworfen, auf denen stand: „Glaubt nicht, wir
haben vergessen, Fuchumachi anzugreifen. Wird nicht mehr lange dauern.“ Das
hörte sich wohlwollend und bedrohlich zugleich an. Ob sie wirklich Fuchu
bombardieren? Einer, der neulich aus der Präfektur Yamanashi kam, berichtete,
die Bomber hätten, ehe sie Kofu angriffen, eine Art Propagandaflugschrift auf
echtem Kunstdruckpapier abgeworfen. Da soll unter anderem draufgestanden haben,
daß die Japaner auf Saipan oder einer anderen Insel, die von den Amerikanern
besetzt ist, ganz zufrieden leben und genug zu essen haben. In Hiroshima
bekommt man Kunstdruckpapier heutzutage nicht mal zu sehen.
Ging um halb vier schlafen.
6. August.
Herr Nojima kam gegen halb fünf mit seinem LKW,
um unsere Sachen zu holen. In Furue sahen wir einen gewaltigen Blitz und hörten
eine Detonation. Schwarzer Rauch stieg über Hiroshima auf, wie bei einem
Vulkanausbruch. Auf dem Rückweg
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