Schwarzer Regen
Patient
nackt war, oder auf die Stoffetzen, die ihm vielleicht noch geblieben waren.
Diese wenn auch primitive Methode war notwendig, um überhaupt eine
Identifizierung zu ermöglichen, denn die Verletzten wälzten sich in ihren
Qualen ständig herum und stöhnten unablässig. „Was will der Doktor denn nun
machen?“ fragte ein Freiwilliger einen der Aufseher. „Er muß doch irgendwas für
sie tun.“ Dem Arzt widerstrebte es, sich mit den Patienten abzugeben, deren
Krankheit er gar nicht zu behandeln wußte. Er hatte keine Ahnung, welche andere
Ursache außer den Brandwunden ihre Leiden haben könnten. Sechs Verwundeten gab
er eine Spritze mit einem Mittel, das Pantopon hieß und ihre Schmerzen
wenigstens vorübergehend linderte. Dann sagte er, er habe keine Medikamente
mehr.
Diese Darstellung hatte Shigematsu später, als
er aus Hiroshima zurückgekehrt war, von einem Mitglied der
Freiwilligenabteilung erhalten. Damals machten sich auch bei Shigematsu selbst
Anzeichen der Strahlenkrankheit bemerkbar. Jedesmal, wenn er sich bei der
Feldarbeit zu sehr anstrengte, überkam ihn eine plötzliche Lethargie, und auf
der Kopfhaut bildeten sich kleine Pusteln. Er konnte sich die Haare einfach
ausziehen, ohne jedes Schmerzempfinden. Er blieb dann immer tagelang im Bett
und aß ausgiebig nahrhafte Speisen.
Die Symptome der Strahlenkrankheit begannen
meist mit einer unerklärlichen Mattigkeit, alle Glieder wurden schwer, und man
fühlte sich wie zerschlagen. Nach ein paar Tagen fingen die Haare an
auszugehen, ohne daß es weh tat, und die Zähne wurden locker und fielen
schließlich aus. Dann trat am Ende ein Kollaps ein, und der Patient starb. Es
war wichtig, im Anfangsstadium der Krankheit, wenn man Mattigkeit verspürte,
viel zu ruhen und gut zu essen. Wer sich zwang zu arbeiten, der welkte allmählich
dahin wie eine Tanne, die ein unerfahrener Gärtner umgepflanzt hat, bis er
schließlich verschied. In dem Nachbardorf von Kobatake und auch im übernächsten
Dorf gab es Leute, die völlig gesund und munter aus Hiroshima zurückgekehrt
waren und sich beglückwünscht hatten, heil davongekommen zu sein; ein paar
Monate hatten sie aus Leibeskräften gearbeitet, dann hatten sie sich hingelegt
und waren nach etwa zehn Tagen gestorben. Die Krankheit begann meist erst in
einem Körperteil mit den so typischen unerträglichen Schmerzen. Die Schmerzen
in den Schultern und auch im Rücken waren unvergleichlich schlimmer als bei
jeder anderen Krankheit.
Der Arzt, der den Hausbesuch bei Shigematsu
machte, stellte eindeutig die Diagnose: Strahlenkrankheit. Dr. Fujita in Fukuyama
kam zu demselben Ergebnis. Yasukos Fall lag aber ganz anders. Ein angesehener
Arzt hatte sie untersucht, und sie war zu einer der regelmäßigen
Reihenuntersuchungen gegangen, die in der Poliklinik für Patienten stattfanden,
die die Bombe überlebt hatten. Ihre Befunde waren völlig normal — Blutbild,
Darmparasiten, Harn, Blutsenkung, Herz und Lunge, Gehör und so weiter. Vier
Jahre und neun Monate nach Kriegsende bot sich Yasuko die Aussicht auf eine
Heirat, die, wenn man ehrlich sein sollte, fast zu gut für sie schien. Der
zukünftige Ehemann, der junge Erbe einer alteingesessenen Familie in der
Gemeinde Yamano, war Yasuko wohl irgendwo begegnet, und so wurde, wie es sich
gehörte, durch eine Heiratsvermittlerin vorgefühlt. Yasuko hatte nichts
einzuwenden gegen diese Verbindung. Shigematsu, der diesmal ganz sichergehen
wollte, daß nicht wieder Gerüchte über die Strahlenkrankheit alles zunichte
machten, ließ von einem angesehenen Arzt ein Gesundheitszeugnis für Yasuko
ausstellen, das er der Vermittlerin mit der Post zuschickte. „Diesmal wird es
klappen“, meinte er reichlich selbstsicher. „Doppelt genäht, hält besser! Heute
ist es ganz üblich, daß man Gesundheitszeugnisse austauscht, ehe man heiratet.
Die werden bestimmt nichts dabei finden. Die Heiratsvermittlerin scheint die
Frau eines pensionierten Offiziers zu sein, und die wird bestimmt
aufgeschlossen an die Sache rangehen. Sicher klappt es diesmal, ihr werdet’s
sehen.“ Im Verlauf der Dinge stellte sich aber heraus, daß er mehr Vorsicht als
Voraussicht hatte walten lassen. Die Heiratsvermittlerin mußte sich bei jemand
im Dorf nach Yasukos Gesundheit erkundigt haben, denn es kam ein Brief, in dem
gefragt wurde, wo in Hiroshima sich Yasuko an dem Tag, als die Bombe fiel,
aufgehalten habe und wo sie bis zu ihrer Rückkehr nach Kobatake gewesen sei.
Das brauche sie nur zur
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