Schwarzer Schwan
der strahlende Mittelpunkt gewesen, sie hatte jedes Herz erobert. Natürlich hatte sich auch Mierscheid in diesen Engel verliebt. Doch dann heuerte Malte Lichtenberg als junger Referent im Bundesfinanzministerium an und Paula folgte ihm nach Berlin. In Mierscheids Augen hatte sie sich eindeutig für den Falschen entschieden.
Vier Jahre später schickte die CDU des Kreises Neuss ihren neuen Hoffnungsträger Lothar Mierscheid in die Hauptstadt. Wir haben alle unseren Weg gemacht, dachte Mierscheid. Malte verfolgte an der Wilhelmstraße seine Karriere, Paula war Lobbyistin geworden und schrieb an sämtlichen Gesetzen mit, die zur Liberalisierung der Kapitalmärkte beschlossen wurden – nicht nur privat galten die beiden als gutes Team.
Lieber Lothar …
Mierscheid rückte die Mikros noch einmal zurecht und hob die Stimme: »Dieser famose Untersuchungsausschuss ist nur ein weiteres, durchsichtiges Wahlkampfmanöver! Im besten Fall ein teurer Nachhilfeunterricht für die Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Aber wie ich Sie kenne, meine Damen und Herren, werden Sie auch daraus nichts lernen!«
Applaus und Gelächter aus den Reihen der Koalition. Ein Blick zur Regierungsbank – Staatssekretär Lichtenberg stierte vor sich hin und zeigte keine Regung.
6.
Mierscheid eilte durch den Tunnel zum Paul-Löbe-Haus, wo im fünften Stock sein Büro lag. Es ärgerte ihn, dass die Kollegen während seines Auftritts in der Zeitung gelesen hatten. Er fand, dass die meisten Leute ihn als Redner unterschätzten, zumindest jenseits der Schützenfeste von Neuss, Dormagen und Grevenbroich.
Vor den Aufzügen traf er Volker Paschke, Parteifreund und Fraktionskollege, sein Wahlkreis befand sich irgendwo im Ruhrgebiet. Wie Mierscheid war Paschke jemand, der im Hintergrund die Strippen zog, wenn auch für andere Interessensgruppen.
»Ich rechne mit dir«, sagte Paschke mit ausgestrecktem Zeigefinger.
»Zählst du mal wieder deine Schäfchen?«
»Wenn es in der Fraktionssitzung zum Showdown kommt, müssen wir vorbereitet sein.«
»Geht’s um unsere strahlende Zukunft?«
Mit einem hellen Signalton glitt die Tür der Kabine auf. Sie betraten den Lift und drückten unterschiedliche Knöpfe.
»Sag bloß nicht, du fällst auch schon um!«
Paschke war ein Mann der Stromindustrie. Seit der Katastrophe in Japan standen die ältesten deutschen Kernkraftwerke still und wurden auf ihre Haltbarkeit hin abgeklopft. Das sogenannte Moratorium als Abklingbecken für die Ängste der Wähler – und trotzdem war die Wahl in Baden-Württemberg für die Partei in die Hose gegangen. Die vier großen Energiekonzerne drängten darauf, ein paar der Atommeiler wieder anwerfen zu können. Sie waren abgeschrieben und wahre Gelddruckmaschinen, zumal für den Müll und etwaige Unfallschäden die Steuerzahler aufkommen mussten.
Es gärte in der Unionsfraktion. Einigen Kollegen ging das Moratorium noch nicht weit genug. Sie predigten den Atomausstieg, um bei den nächsten Landtagswahlen nicht noch mehr Prozente an Rot-Grün zu verlieren. Zu den Ausstiegsbefürwortern zählte angeblich auch der Umweltminister – an dessen Stuhl sägte Paschke am eifrigsten. Auf welche Seite sich die Kanzlerin schlagen würde, war noch unklar.
Mierscheid hatte einst einen Pakt mit Paschke geschlossen. Folgte der Kollege ihm in Fragen der Finanzpolitik, so hob Mierscheid sein Händchen für Paschkes Energievorschläge. Aber insgeheim musste Mierscheid zugeben, dass die Havarie von Fukushima sein Meinungsbild ähnlich erschüttert hatte wie seinerzeit der Crash auf den Finanzmärkten.
Vierter Stock, Paschke musste raus. Gerunzelte Stirn, bohrender Blick.
»Also, kann ich mit dir rechnen, Lothar?«
Mierscheid nickte. »Weißt du doch.«
Er öffnete die Tür zum Büro seines Referenten, ein kleines Kabuff, das vermutlich einmal als Teeküche geplant gewesen war. Der Junge hieß mit Vornamen Clemens, war blass und beunruhigend untergewichtig, aber ein schlaues Kerlchen – er hatte bereits mit Anfang zwanzig sein Studium der Politikwissenschaft mit besten Noten beendet. Zudem war sein Onkel der bedeutendste Landmaschinenhändler im Kreis Neuss und unterstützte Mierscheids Wahlkämpfe mit großzügigen Zuwendungen.
»Ich habe die Rede mitgeschnitten«, erklärte der Junge.
»Gut, dann formulierst du jetzt daraus eine Pressemeldung. Schreib auf: Überschrift, Lothar Mierscheid, Doppelpunkt, deutsche Finanzinstitute auf gutem Weg. Forderung nach Regulierung beschädigt den
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