Schwarzer Schwan
er zusammen.
»Lange nicht gesehen«, sagte Paula.
Wie schlank sie immer noch war und wie jugendlich sie wirkte! Das rotblonde Haar war kürzer, als Mierscheid es in Erinnerung hatte. Ihre hellen Augen schlugen ihn sofort in Bann. Er wusste nicht, ob er Paula mit Wangenkuss oder Händedruck begrüßen sollte. Wann hatte sein Herz zuletzt so stark geklopft?
Sie zog hastig an ihrer Zigarette. »Hab mich schon gefragt, ob du heute kommst. Freut mich sehr, dass du da bist.«
»Du siehst blendend aus, Paula. Wie frisch aus dem Urlaub.« Während ich fett geworden bin, dachte Mierscheid. Er rechnete: Paula war sechs Jahre jünger als er, also zweiundvierzig.
»Eine Woche Lanzarote mit meiner Schwester. Ist aber auch schon wieder einen Monat her. Davon sieht man garantiert nichts mehr, du Schmeichler.«
Als Paula die Reise erwähnte, fiel Mierscheid ein, was Freunde aus Neuss ihm unlängst gesteckt hatten: Paulas Schwester hatte sich das Leben genommen. Das musste kurz nach dem gemeinsamen Inselurlaub gewesen sein. Viele Jahre mit schweren Depressionen seien dem vorausgegangen. Schrecklich.
»Das mit deiner Schwester … Tut mir leid, Paula.«
»Ich dachte, der Urlaub würde Conni auf andere Gedanken bringen.«
»Du hast getan, was du konntest, da bin ich mir sicher.«
»Nein, nicht genug. Jahrelang habe ich den Kontakt zu ihr vernachlässigt. Ich war eine schlechte Schwester. Aber lass uns über etwas anderes reden. Wie geht’s dir?«
»Gut.« Er nickte, als müsse er die Behauptung bekräftigen.
Schweigend rauchten sie und sahen sich in die Augen. Von drinnen war Applaus zu hören.
»Große Show«, sagte Mierscheid, wies in Richtung Saal und versuchte ein Lächeln.
»Für mich zum letzten Mal. Ich höre auf bei der Deutschen Börse und breche meine Zelte hier ab.«
»Hab schon vernommen, dass angeblich die RheinBank um dich wirbt.«
»Die RheinBank?«
»Oder war’s die Deutsche Bank und du gehst nach Frankfurt?«
»Nein, nein, weder noch. Ich kann das alles nicht mehr.«
»Geht’s dir nicht gut?«
»Doch, aber ich will mich nicht länger vor diesen Karren spannen lassen.«
»Was ist passiert?«
»Das fragst du? Vor zwei, drei Jahren sind die Geldmärkte fast zusammengebrochen und die Staatsverschuldung hat astronomische Höhen erreicht. Aber die Banken zocken weiter, als sei nichts gewesen. Hat sich irgendetwas geändert? Die nächste Krise wird noch viel schlimmer, das sag ich dir. Nein, diesen faulen Zauber hab ich lang genug schöngefärbt.«
»Das sagt ausgerechnet die Jeanne d’Arc der freien Kapitalmärkte?«
»Spotte nur, Lothar. Nenn es meinetwegen Midlife-Crisis. Jedenfalls bin ich dabei, mich neu zu sortieren.«
»Was hast du vor?«
»Mal sehen. Vielleicht ein Buch schreiben, einen Roman. Wahrscheinlich lachst du mich jetzt aus, Lothar, aber ich hab da ein ganzes Bündel an Ideen.«
»Finde ich … gut, warum nicht?«
»Außerdem ist der Spiegel interessiert an meiner Mitarbeit. Wir stehen in Verhandlungen. Ich habe da eine ver dammt gute Story auf Lager. Wer weiß, womöglich wechsle ich ganz die Fronten und fange als Journalistin an.«
»Gratuliere.«
»Connis Tod hat hier drin etwas aufgeweckt.« Sie drückte sich die Faust an die Stirn. »Jedenfalls kann ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Verstehst du das?«
»Was sagt Malte dazu?«
»Malte?« Paula pustete Rauch. Ihr Blick funkelte. »Weißt du, dass er Schiss vor dir hat?«
»Wieso das?«
»Es stimmt doch, dass du als Obmann der Union in den Untersuchungsausschuss gehen wirst, oder?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Mach es, Lothar.« Paula drückte die Zigarette auf der Brüstung aus und warf den Stummel hinaus in die Nacht. »Mach Malte fertig! Die Bande würde Augen machen …«
Es klopfte gegen die Scheibe der Balkontür, eine junge, dralle Brünette im pinkfarbenen Kostüm ließ sich blicken. »Steinmeier hat überzogen. Sollen wir bei der Musik kürzen?«
Paula berührte Mierscheids Schulter. »Sorry, Lothar, aber ich muss wieder an die Arbeit. Wir sehen uns nachher beim Büfett.«
Mierscheid rauchte zu Ende, ohne dass ihn das beruhigen konnte. Diese Frau schaffte es immer noch, seinen Puls zu beschleunigen.
Schließlich ging er ebenfalls zurück in die Halle. Vor dem noch unberührten Büfett hielt er inne: Malte Lichtenberg stieg die Treppe hoch. Ohne Mierscheid zu bemerken, zog der Finanzstaatssekretär die Tür zum Saal auf und schlüpfte hinein.
Mierscheid änderte seinen Plan.
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