Schwarzer Tanz
die Nahrung.
Rachaela trödelte mit ihrem Tee herum. Sie verließ den Raum, als die Zeiger ihrer Armbanduhr auf fast zehn Uhr dreißig standen.
Sie ging nach oben in ihr Schlafzimmer. Sie wartete eine weitere halbe Stunde, hörte keinen der Scarabae und hatte auch bis auf Cheta keinen mehr gesehen.
Um fünf nach elf machte sie sich auf den Weg zum Dachboden.
Der Schlüssel drehte sich leicht im Schloss.
Sie trat langsam ein, auf alles Mögliche gefasst. Doch der Raum war genauso, wie sie ihn von ihrem letzten Besuch in Erinnerung hatte, hell erleuchtet von den Kerzen in ihren Haltern auf den Truhen.
Ruth saß im Schaukelstuhl, und hinter ihr, auf dem nachtschwarzen Fenster, spiegelte sich das flackernde Kerzenlicht. Ihr Gesicht wirkte verzerrt, wie das eines Clowns, und sie hatte eine der braunen Flaschen auf dem Schoß.
» Ich habe dir doch gesagt, dass du das nicht trinken sollst«, sagte Rachaela alarmiert.
Ruth starrte sie an.
» Haben sie dich herkommen lassen?«
» Nein, Ruth. Ich habe einen Schlüssel. Wie viel hast du davon getrunken?«
» Nur ein bisschen. Es schmeckt widerlich.«
» Gut.«
Rachaela schloss die Tür. » Ich bringe dich heute Nacht weg von hier.«
Ruth nickte. Sie stand auf.
Sie trug das Kleid aus dem Jahr neunzehnhundertzehn, doch sie würde darin laufen können, und heutzutage trugen die Leute, besonders die Jugendlichen, sowieso alle möglichen Klamotten. Das verletzte Gesicht würde vielleicht Aufsehen erregen. » Es tut mir leid, aber du musst deine Sachen hierlassen.«
» Das macht nichts«, sagte Ruth gleichgültig. » Ich brauche nichts.«
» Ich will nicht, dass du auf dein Zimmer gehst. Wenn es hier irgendetwas Leichtes gibt, was du mitnehmen willst, kann ich es tragen.«
» Nichts.«
» Wir werden über die Heide laufen müssen. Ich weiß, es ist ein langer Weg, aber es gibt keinen anderen.«
Ruth schmollte einen Moment lang, dann sagte sie: » Ist mir egal.«
» Wenn die Geschäfte erst einmal offen sind, sollten wir keine Schwierigkeiten haben, im Dorf ein Auto zu bekommen.« Ruth nahm noch einen Schluck aus der braunen Flasche.
» Nein, Ruth.«
» Es ist doch nur Wein.«
» Trink es trotzdem nicht. Ich bringe dich jetzt in mein Zimmer. Du musst sehr leise sein. Wenn wir irgendeinen von ihnen treffen, dann versteck dich schnell, wenn dafür Zeit ist. Wenn nicht, nun, wir werden sehen. Ich glaube nicht, dass etwas passiert.«
Rachaela erinnerte sich daran, wie sie sich alle bei ihrer eigenen Flucht in der Halle versammelt hatten und sie trotzdem widerspruchslos gehen ließen. Würden sie Ruth, die Kriminelle, ebenso kampflos aufgeben? Ja. Wieso sonst der Schlüssel, die völlige Stille des Hauses? Sie wollten Ruth loswerden, egal, was sie gesagt oder getan hatten.
Rachaela verließ den Dachboden, und Ruth folgte ihr. Als sie draußen waren, schloss Rachaela die Tür wieder ab.
Sie stiegen die Treppe hinunter, liefen durch den Anbau und kamen auf den Korridor. Nichts rührte sich. Die Scarabae hatten den Weg freigemacht.
Sie gingen den Korridor entlang, am Treppenabsatz vorbei, und erreichten Rachaelas Tür am Ende des Ganges. Das Haus hätte verlassen sein können.
Ruth sah sich in der blaugrünen Kammer um.
» Es ist nett hier. Was ist das da auf dem Fenster?«
» Die Versuchung der Eva.«
Auf dem Bett lagen Rachaelas gepackte Taschen. Ihre Stiefel standen neben dem Kamin bereit.
Ruth trug immer noch ihre Schuhe aus der Schule. Was für ein Segen.
» Es wird schön sein, nach Hause zu kommen«, sagte sie.
Rachaela dachte an die Wohnung; der Bereich von Ruth ausgelöscht und all ihre Sachen in Kisten verpackt. Zumindest hatte sie noch nichts davon weggegeben, nicht einmal die Kleider für den Flohmarkt.
Sie will mich bei Laune halten, dachte Rachaela. Sie betrachtet die Wohnung nicht als Zuhause. Vielleicht gar nichts. Mein Gott, was wird aus ihr werden? Und sie stellte sich vor, wie Ruth von Männern in weißen Kitteln kreischend durch einen gekachelten Korridor gezerrt wurde.
» Ruth, du musst jetzt hierbleiben. Geh nicht aus dem Zimmer. Musst du auf die Toilette?«
» Nein, Mami.«
Wie in Gottes Namen hatten sie das auf dem Dachboden geregelt?
» Ich werde nach unten gehen und nachsehen, ob im Erdgeschoss jemand ist. Ich werde nicht länger als zehn, fünfzehn Minuten weg sein. Und dann gehen wir.«
» Ja«, sagte Ruth. Sie setzte sich in den Sessel, in dem Adamus einmal gesessen hatte.
» Halte dich bereit, Ruth.«
Ruth nickte und
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