Schwarzer Tod
stimmte?«
Leibowitz richtete sich auf seinem Stuhl auf. »So kostspielig dieser Einsatz auch war, ich glaube, er war jedes einzelne Menschenleben wert. Heinrich Himmler hatte tatsächlich versucht, Hitler zum Einsatz von Nervengas zu überreden, um die Invasion zurückzuschlagen. Aber nach dem Überfall auf Totenhausen blieb ihm nichts anderes übrig, als General Smith seinen Bluff abzukaufen. Die Beweise lagen direkt vor seinen Augen. Die Alliierten besaßen anscheinend auch Nervengas und hatten es sogar eingesetzt. Sie hatten Himmlers Projekt damit zerstört, und zwar einen Tag vor der Demonstration vor dem Führer. Damit blieben ihm nur zwei Möglichkeiten. Er mußte Hitler von dem verheerenden Überfall berichten und die Schande akzeptieren, daß er sich geirrt hatte, ganz zu schweigen davon, daß es alliierten Saboteuren gelungen war, eine hochgeheime SS-Einrichtung zu stürmen, oder ...«
»... er mußte es vertuschen.«
»Ja.«
»Was hat er gemacht?«
»Er hat einfach die Wirkung der Bomben übertrieben, die die Mosquitos abgeworfen hatten. Wer sollte ihm widersprechen? Vom Dorf Dornow war nur noch ein Loch in der Landschaft übriggeblieben. Die Transformatorstation war ausradiert. Am Tag, nachdem Ihr Großvater Totenhausen verlassen hat, befahl Himmler, das Lager abzubauen und die Trümmer zuzuschütten.«
»Meine Güte.«
»Ich war da, Mark. Vor vier Jahren. Es war nur eine Reise mit anderen Rabbis, auf der wir uns Konzentrationslager ansehen wollten. Ich habe einen Abstecher nach Dornow gemacht. Ich bin zu der Stelle zwischen den Hügeln und dem Fluß gegangen.«
»Und?«
»Da war nichts. Nur ein rauhes, unebenes Feld mit dem Fluß, der daran vorbeifloß. Ich habe das Kaddisch gebetet und bin weggefahren.«
Leibowitz legte den Finger ans Kinn. »Aber es hat auch eine gewisse Gerechtigkeit gegeben. Annas Tagebuch wurde in dem berühmten Prozeß gegen die Nazi-Ärzte als Beweismittel benutzt. Einer von Brandts Assistenzärzten war während des Angriffs nicht in Totenhausen. Er wurde gehängt, und zwar hauptsächlich aufgrund der Tagebucheintragungen.«
»Und was ist mit den Berichten, die die jüdischen Frauen gemacht haben? Hat Rachel die auch herausgeschmuggelt?«
Leibowitz lächelte traurig. »Was für eine schöne Parallelität der Ereignisse, wenn sie das getan hätte. Aber als diese letzte, entsetzliche Nacht gekommen war, hat niemand mehr daran gedacht. Sie dachten nur ans Überleben.«
»Vielleicht wenn Frau Hagan noch am Leben gewesen wäre ... «
»Vielleicht. Aber in jedem Fall waren sie nicht die einzigen Gefangenen, die Aufzeichnungen gemacht haben. Nach dem Krieg wurden ähnliche Journale in Gläsern, Kannen und unter den Fußböden von Baracken gefunden. Einige von ihnen ... «
Zum ersten Mal sah ich Tränen in den Augen des Rabbi. Er lehnte sich zurück und blinzelte, dann schwieg er. Ich nahm das Victoria-Kreuz vom Tisch. »Ich glaube, ich fange allmählich an zu verstehen«, sagte ich. »Was in Totenhausen geschehen ist, hat nichts mit Ruhm zu tun.«
»Nicht im gewöhnlichen Sinn, nein. Winston Churchill allerdings sah das anders. Er hat Mac diesen Orden in einem privaten Treffen am Ende des Krieges verliehen.« Der alte Mann drückte die Hände zusammen und trank dann einen Schluck Brandy. »Ich habe mich manchmal gefragt, ob dieses Victoria-Kreuz wirklich echt ist. Wie ich Ihnen schon sagte, ist der einzige andere Amerikaner, dem diese Auszeichnung verliehen wurde, der Unbekannte Soldat. Rein technisch gesehen wird es nicht an Zivilisten verliehen. Die höchste britische Auszeichnung für Zivilisten ist das Georgskreuz, und das hat Jonas Stern für seinen Einsatz in Totenhausen bekommen. Ich glaube aber dennoch, daß dieses Victoria-Kreuz echt ist. Ich glaube, Churchill mochte Ihren Großvater, Mark. Ich glaube, er respektierte ihn und seine Ideale von ganzem Herzen. Churchill sah in Mark das Beste, was Amerika zu bieten hatte. Und Mac hat England viel gegeben. Er hat dort seit 1940 gearbeitet, vergessen Sie das nicht, lange vor Pearl Harbour.«
Leibowitz stellte das Glas ab. »Mac hat Churchill ebenfalls respektiert. Churchill hat ihn um den Gefallen gebeten, das Geheimnis von Operation Black Cross zu bewahren. Und wie Sie sehr gut wissen, hat Mac das bis zu seinem Tod auch getan. Er hat mir einmal erzählt, daß Churchills Notiz ihm weit mehr bedeutet habe als das Victoria-Kreuz.«
Der Rabbi stand auf und ging zum Bücherregal meines Großvaters. »1991 haben wir einen
Weitere Kostenlose Bücher