Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
hatte.
Die Stimmen wurden immer höher, redeten immer schneller, bis sie nur noch hektische Flügelschläge auf Glas waren. Als sie den Gipfel ihres Crescendos erreicht hatten, schnitt er ihr die Kehle durch und spürte das Blut fließen. Er hielt sie in den Armen und sang ihr ein blutrünstiges Schlaflied. Während das, was ihr Wesen ausmachte, ihren Körper verließ, bemerkte er aus den Augenwinkeln ein kurzes flackerndes Licht, das sofort wieder erlosch. Er öffnete den Mund und inhalierte ihre Essenz, um sich für die kommende Schlacht zu stärken.
Schließlich richtete er sich wieder auf. Das Mädchen hatte er bereits vergessen. Sein Herz klopfte in einem regelmäßigen Takt. Bevor die Nacht vorüber war, würde er eine weit größere Macht in sich aufnehmen, eine Macht, die es ihm erlaubte, seinen gebrechlichen Körper, der der Willkür von Alterung und Verfall ausgeliefert war, hinter sich zu lassen und seinen Platz zu den Füßen der gefallenen Götter einzunehmen.
Junior starrte nach Süden. Die Schwärze wurde von einer Ansammlung von Sternen am mondlosen Himmel durchbrochen, und er erlaubte sich den Genuss einer Erinnerung, die er sich sorgsam aufgespart hatte. Eine Erinnerung von solcher Kraft, dass ihre unmittelbare und ungefilterte Beschwörung seine Synapsen glatt hätte durchschmoren lassen.
Es war kurz nach Mitternacht am Tag der Toten. Der zehnjährige Junior hatte mit seiner Mama die Grenze überquert und befand sich nun in einer dreckigen Cantina, auf deren Bühne eine dunkelhäutige Frau von einem Esel begattet wurde. Weiße Männer feuerten sie an, hüpften und schwitzten Meskal, Chemie und Lust aus allen Poren.
Er wurde aus der Cantina in die Dunkelheit geführt und auf den Rücken eines halb toten Pferdes geworfen. Sein Gehirn war von irgendetwas, das man in sein Getränk getan hatte, benebelt und benommen. Er erbrach sich über die schorfige, mit Geschwüren bedeckte Flanke des Tiers. Dann beobachtete er, dass sich seine Mama mit der Eleganz einer Dressurreiterin auf ein weiteres Pferd schwang.
Ein Mann auf einem dritten Pferd schnalzte mit der Zunge, und gemeinsam ritten sie durch die stinkende Stadt in die Nacht hinaus. Juniors Eingeweide schlingerten mit den Bewegungen des Tieres unter ihm. Er konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit verging, bis sie eine vor einem Hügel zusammengedrängte Ansammlung von Hütten erreichten.
Sie stiegen ab. Eine der Hüttentüren öffnete sich. Flackernder Kerzenschein beleuchtete einen Mann in einem billigen Anzug, der eine Zigarette rauchte. Mama gab dem Mann Geld, und er nahm sie am Arm und führte sie zu einer kleinen Bude aus Wellblech. Zwischen der Tür und dem nackten Erdboden war ein großer Spalt.
Junior bemerkte eine Bewegung in diesem Spalt, hörte das Rasseln von Ketten und das Grunzen und Stöhnen von etwas, das nur teilweise menschlich sein konnte.
Der Mann im Anzug öffnete die Tür, schubste Mama hinein, schloss sie schnell wieder und legte ein Vorhängeschloss vor. Dann weitere Geräusche, seine Mutter schrie gedämpft, dann das rhythmische Krachen von Körpern, die gegen die Wellblechwände stießen.
Junior wollte seiner Mama folgen, doch der Mann packte ihn und trug ihn in eine nach Schweinekot stinkende Hütte, wo eine dicke Frau mit zusammengekniffenen Augen in einem großen Kessel rührte. Fettklumpen schwam men auf dem Gebräu. Trotz aller Anstrengung wurde Junior ohnmächtig.
Als er aufwachte, war Mama bei ihm in der Hütte. Ihr Kleid war zerrissen, die Haare mit Dreck verklebt, sie hatte Kratzer auf dem Gesicht und geschwollene, blaue Lippen. Ihre glasigen Augen starrten auf etwas, das weit über ihren Verstand hinausging.
Immer wieder dämmerte Junior weg, und jedes Mal, wenn er aufwachte, sah er seine Mutter reglos mit dem Rücken zur Wand dasitzen. Sie hatte nach wie vor diesen verwirrten Blick. Ihre Zunge glitt nervös über die Zähne.
Bei Morgengrauen ritten sie zu der unter einer Rauchdecke aus Holzfeuern liegenden Stadt zurück. Sie stiegen ins Auto, fuhren nach Norden über die Grenze und nahmen sich ein Motelzimmer, wo seine Mutter eine sehr lange Zeit mit ihren Salben und Cremes und dem Fön im Badezimmer verbrachte. Als sie wieder auftauchte, lächelte sie und war perfekt frisiert.
Das Leben ging mehr oder weniger weiter wie zuvor. Sie zogen durch das Landesinnere und töteten zum Vergnügen. Doch seine Mutter hatte sich verändert. Zum einen körperlich: Ihr Bauch schwoll an, sodass sie nur watschelnd
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