Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
mal kann ich es nicht zurückhalten.«
Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er erst Skye, dann den mit dem Handtuch umwickelten Schlagstock und dann wieder Skye an. Seine Augen waren wie schwarze Murmeln. Sie spürte, wie ein Impuls in seinem Gehirn darauf wartete, in seinen Arm zu fahren. Wenn er sie noch mal schlug, würde sie den Anderen nicht länger in Schach halten können.
Das Handy auf dem Tisch piepte ein einzelnes hohes Piepen. Gene ließ den Schlagstock fallen, schnappte sich das Telefon und drückte darauf herum, bis das Display sein Gesicht beleuchtete. Seine Miene entgleiste, als sie Timmys Stimme hörten, die verzerrt und blechern aus dem Telefon gellte. »Daddy, hilf mir. Daddy …«
Dann plötzlich Stille.
Der Gene, der sie jetzt ansah, war wieder ihr Bruder.
»Lass mich sehen, Gene«, sagte sie und hob die Hände mit den klirrenden Kettenteilen daran.
Er reichte ihr das Handy, und sie startete das kurze Video. Der gefesselte Timmy lag in scheinbar undurchdringlicher und unendlicher Dunkelheit. Sein Oberkörper wurde vom zitternden Strahl einer Taschenlampe beleuchtet. Er flehte um Hilfe, dann schwenkte die Kamera nach links auf das Gesicht, das sie in ihrem Traum gesehen hatte. Das wie ein Halloweenkürbis grinsende Antlitz des Samtjesus.
Irgendetwas traf sie zwischen die Augen und blendete sie eine Sekunde lang. Als sie wieder sehen konnte, war sie nicht mehr im Verhörraum, sondern in der nächtlichen Wüste. Sie roch Beifuß und Mesquite, erblickte durch scharfe Adleraugen das unstetige Flackern eines Neonsterns. Sie wandte sich um und entdeckte die alte Tankstelle.
Sie ging auf die Zapfsäulen zu und richtete die Augen auf den rissigen Asphalt. Tief darunter, zwischen den Sprüngen im Beton hindurch, konnte sie den dunklen Tank erkennen, in dem Timmy mutterseelenallein lag.
»Skye? Skye?«
Gene rüttelte an ihrer Schulter. Die gewaltige Kraft in ihren Beinen riss sie aus dem Stuhl. Die Seitennähte ihrer Jeans platzten auf, als die Quadrizepsmuskeln anschwollen. Die Fußmanschetten sprangen entzwei.
»Bring mich hier raus, Gene«, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihr gehörte. »Ich weiß, wo Timmy ist.«
52
Junior Cotton lag in der Finsternis auf der Rückbank des Chevrolets und spürte eine winzige Veränderung in den Molekülen, die ihn umgaben, so zart und unmerklich wie das weit entfernte Flügelschlagen einer Motte.
Da wusste er: Sie hatten den Köder geschluckt.
Junior setzte sich auf und schaltete die automatische Innenbeleuchtung aus, bevor er die Wagentür öffnete. Einen Augenblick lang saß er nur da, ließ die ruhige Nachtluft über sein Gesicht streichen und atmete den Geruch der Wüste.
»Della?«, sagte er mit leiser Stimme.
Sie hatte mit dem Rücken an der Wand vor der Tankstelle gesessen. Junior hörte das Rascheln ihrer Kleidung, als sie sich aufrichtete.
»Hier«, sagte sie.
»Es ist so weit.«
»Okay.«
Sie ging zu ihm hinüber. Ihre Turnschuhe knirschten über Glasscherben.
»Was jetzt?«, fragte sie ohne die geringste Spur von Furcht in ihrer Stimme.
»Knie dich hin«, sagte er, stand seinerseits auf und stützte sich an der Wand ab. Der bröckelige Putz war noch immer warm.
Sie ging vor ihm auf die Knie. Er hatte keine andere Wahl, als die Taschenlampe einzuschalten, damit er eine einigermaßen gleichmäßige Stelle auf der Wand finden konnte. Dann gab er ihr die Lampe.
»Leuchte auf dein linkes Handgelenk.«
Sie tat wie befohlen. Er nahm das Skalpell aus der Tasche und öffnete damit ihre Pulsader. Rhythmisch spritzte das Blut daraus hervor.
»Richte die Lampe auf die Wand«, sagte er. Wieder gehorchte sie.
Er tauchte einen Finger in die warme Flüssigkeit und zeichnete damit das Symbol an die Wand. Alter Putz klebte wie Leim an seiner Fingerspitze. Die grobe, krakelige Kritzelei war eindeutig als umgekehrtes Pentagramm zu erkennen.
»Dreh dich um und drück dein Gesicht an die Wand.« Ihre Stirn berührte den Putz in der Mitte des Pentagramms. Er nahm ihr die Lampe ab, schaltete sie aus und schloss die Augen, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Stimmen stiegen in ihm auf und sprachen in fremden Zungen. Männerstimmen, Frauenstimmen, die Stimmen von Kindern und Greisen. Wortfetzen und Fragmente verschmolzen zu einem babylonischen Gewirr, das bis in die Urzeit zurückreichte – bis in jene Epoche, in der sich das Leben aus einer alchemistischen Suppe aus Schlamm und Blut und Pisse und Scheiße und Sperma gebildet
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