Schwarzes Fieber
Wie es ihnen wohl ging mit der abgesoffenen Wohnung, in ihrem engen Hotelzimmer? Warum riefen sie eigentlich nie an? Warum rief ich sie nie an? Auch mein Vater war Beamter gewesen, beim Finanzamt, und hatte mir, als die Zeit gekommen war, mit den üblichen Argumenten in den Ohren gelegen, ebenfalls in den Staatsdienst zu treten.
Lehrer kam nicht infrage, davon hatte ich zu viele kennengelernt, das Finanzamt war für mich unvorstellbar gewesen, und so hatte die Polizei nicht weit gelegen. Ich liebte es, mit Menschen zu tun zu haben, den verschiedensten Menschen aus allen Schichten. An ihrem Schicksal teilzuhaben. Meinen Teil dazu beizutragen, ihre Welt in Ordnung zu halten. Zu helfen, sie wieder zurechtzurücken, falls sie einmal in Unordnung geraten war.
Und das war leider ein Problem bei der Position, die ich nun seit fast einem Jahr bekleidete: Als Kripochef hatte ich im Leben außerhalb meines Büros nichts mehr zu suchen. Ohne recht zu wissen, wie mir geschah, war ich plötzlich zum Verwaltungsbeamten mutiert, der das Leben außerhalb der Polizeidirektion nur noch vom Hörensagen und aus Berichten und Protokollen kannte.
Ich nippte an meinem Wein, während Lorenzo in der Küche heimelige Geräusche erzeugte. Meine Gedanken schwebten von hier nach dort und landeten – wo sonst – bei Theresa. Auch wenn wir Funkstille vereinbart hatten, fand ich, hätte sie mir wenigstens eine klitzekleine SMS schicken können, damit ich mir keine unnötigen Sorgen machte. Natürlich machte ich mir nicht die geringsten Sorgen um sie, aber das konnte sie ja nicht wissen. Ich brauchte sie, wurde mir bewusst, jetzt, wo sie nicht da war. Und wie vermutlich alle Männer dieser Welt hasste ich es, jemanden zu brauchen.
Ich nahm mir vor, aus unserem Wiedersehen in knapp drei Wochen ein Fest zu machen mit Champagner und Kaviarhäppchen, echtem Kaviar natürlich, Lachs und Trüffelpastete. Theresa liebte den Luxus, und manchmal beschlich mich das Gefühl, auch ihre Beziehung zu mir sei nur eine Art Luxus für sie. Etwas, das sie sich gönnte wie eine neue Frisur, ein Schaumbad bei barocker Trompetenmusik, sinnlos teure Unterwäsche oder ein siebengängiges Abendessen im Hotel Ritter. War es das, was mich so verrückt machte nach dieser Frau? Dass sie mir nie das Gefühl gab, ich könnte sie besitzen? Dass ich immer wusste, es war nur auf Zeit, auf lange Zeit vielleicht, aber eben doch eine Beziehung ohne Ewigkeitsanspruch und Treueschwüre?
Lorenzo klapperte immer noch in der Küche herum. Er verriet grundsätzlich nie, was er auf den Tisch bringen würde, aber es war immer das Passende. Es duftete jetzt ein bisschen nach Thymian und, in diesem Haus unverzichtbar, nach Knoblauch. Ich tippte auf Fisch.
Drüben lag das rote Schloss im Abendlicht, manche Fenster der Altstadt glühten auf im Feuer der untergehenden Sonne. Ich gönnte mir noch einen Schluck Wein. Nein, unvorstellbar, niemals würde ich in Pension gehen, denn ich war ja unsterblich.
Humpelnd erschien Lorenzo mit zwei großen, flachen Tellern, die so heiß waren, dass er sie nur mithilfe zweier blau karierter Küchentücher anfassen konnte. Pangasiusfilet, gedämpft, erklärte er, dazu Basmatireis, vermengt mit ein wenig Wildreis, feines Mischgemüse, und das alles in einer rötlichen und nach allen Wundern des Mittelmeers duftenden Soße. Wie um alles in der Welt hatte er das in fünf Minuten hingezaubert? Wenn ich so etwas kochte, dann stand ich zwei Stunden in der Küche und verbrachte anschließend zwei weitere damit, die angerichteten Kollateralschäden zu beseitigen.
Oder sollten es mehr als fünf Minuten gewesen sein? Ich begann, das Gefühl für die Zeit zu verlieren. Ein gutes Zeichen. Morgen früh würde ich in der Direktion anrufen und meinen Urlaub verlängern. Vangelis konnte mich problemlos noch zwei weitere Wochen vertreten. Sie war meine beste und zuverlässigste Mitarbeiterin, und (aber das verriet ich natürlich niemandem) in manchen Dingen besser als ich. Am Samstag würde ich vielleicht wieder einmal Lotto spielen. Im Radio hatte ich gehört, fünfzehn Millionen lägen im Jackpot.
Die Soße war zu sauer und außerdem versalzen, und Lorenzo hatte plötzlich schlechte Laune.
»Das ist mir ja schon ewig nicht mehr passiert!«, maulte er, als wäre es meine Schuld.
Gegen das Salz half ein fruchtiger Chardonnay aus dem Trentino, stellten wir fest, und die übertriebene Säure war vermutlich gut für die Verdauung. Diesmal war ich es, der sich keine
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