Schwarzes Prisma
»Nein, mir tut es leid. Das … ich weiß nicht … ich schätze, ich bin selbst immer noch damit beschäftigt, mich an dieses ganze Leben zu gewöhnen. Alles in der Chromeria hat eine Hierarchie, Kip, und es ist nicht leicht, sich daran zu gewöhnen. Ich weiß nicht einmal, ob es gut ist, sich daran zu gewöhnen. Aber sobald du deinen Platz kennst, kannst du herausfinden, wie du mit allen anderen umgehen solltest, selbst mit Leuten, die du nicht kennst. Es vereinfacht die Dinge tatsächlich. Ich habe nur – nach den letzten drei Jahren als Monochromatin einer obskuren Farbe und obendrein als Tyreanerin habe ich die ganze Hierarchie nie gemocht. Aber ich hatte mich endlich mit meinem Platz in dieser Hierarchie abgefunden, und ich war fast fertig mit meiner Ausbildung und bereit, in mein beschissenes Leben einzutreten. Jetzt bin ich eine Bichromatin, und über Nacht ist alles anders. Ich werde noch zwei weitere Jahre in der Chromeria bleiben müssen, und mein Leben wird vollkommen anders ausfallen. Jetzt sehen die Menschen mich.« Sie lächelte kläglich und traurig. »Ich schätze, du weißt alles darüber, wie es ist, wenn sich das ganze Leben binnen eines Wimpernschlags verändert. Die Sache ist die, mir gefällt mein neues Leben. Ich habe neue Kleider, Schmuck, Taschengeld. Eine Kammersklavin. Ich schätze, dass ich vielleicht nicht die Hierarchie gehasst habe, sondern es nur gehasst habe, ganz unten in dieser Hierarchie zu stehen. Also fühlt es sich, wann immer ich etwas genieße, wie die Bestätigung meiner Vermutung an, dass ich eine Heuchlerin bin, und dann fühle ich mich elend.«
»Ich werde versprechen, dir das Leben so schwer wie möglich zu machen, wenn es dich glücklich macht«, sagte Kip.
Sie versetzte ihm einen spielerischen Hieb gegen die Schulter, aber er traf ihn an einer empfindlichen Stelle. »Du bist ein echter Lebensretter, Kip.« Sie grinste jedoch, während er sich die Schulter rieb. Dann verblasste ihr Lächeln wieder. »Ich schätze, ich sollte meinen eigenen Rat beherzigen und anfangen, damit fertig zu werden, wie die Dinge sind. Du bist der Sohn des Prismas, ich bin deine Tutorin. Ich sollte dich nicht schlagen. Orholam, du bist der Sohn des Prismas, wie kann ich so etwas wagen?«
Kip schnürte es die Brust zu. »Nein!« Er schrie beinahe. Die Kammersklavinnen warfen ihm Blicke zu. Verlegen senkte er die Stimme. »Liv, schwöre mir, dass du das nicht tun wirst. Ich …«
Was wolltest du sagen, Kip? Ich bin in dich verliebt, seit ich denken kann? Klar.
»Ich könnte es nicht ertragen, meine letzte Verbindung zu Rekton zu verlieren«, sagte er stattdessen, und seine Worte überschlugen sich. »Du bist die Einzige, die mich vor alledem gekannt hat.«
Klasse, du hast es wunderbar hinbekommen, es so aussehen zu lassen, als sei es völlig unpersönlich. Mir ist nicht an dir gelegen, mir liegt nur an Rekton.
»Ich meine … Liv, du kennst mich, du bist …« Du bist meine Freundin? Das klingt ein wenig anmaßend, nicht wahr? Was, wenn sie dich niemals als einen Freund betrachtet hat?
»Du bist auch aus Rekton«, erklärte er stattdessen lahm. Wieder unpersönlich. Verdammt! »Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann, und ich habe dich immer … bewundert.«
Bewundert? Als sei sie ein Gemälde?
»Ich meine, ich weiß zu schätzen …«
Ich weiß zu schätzen. Irgendwie das Gleiche wie bewundern, nicht wahr? Als sei sie eine gute Köchin?
Bei Orholams Eiern, was für eine Qual! Ah, ein Ausweg! Er wusste sie nicht zu schätzen, sondern wusste zu schätzen, wie sie etwas macht.
»Ich weiß zu schätzen, wie du …« Wie sie was?
Wie sie in diesem zu kleinen grünen Hemd aussieht, das sie benutzt hat, um – Scheiße!
»… dass du immer so nett zu mir warst.«
Jetzt klingst du wieder flehentlich, wieder wie ein unbeholfenes Kind. Gut gemacht.
Ich werde nie wieder mit einer anderen Frau sprechen.
Kip konnte es kaum ertragen, nach dieser Darbietung Liv anzusehen, aber sie wartete, bis er ihr in die Augen blickte.
»Oh, Kip, flirtest du mit mir?!«, fragte sie.
Es war, als sei Kip in dem Albtraum gefangen, in dem er zum Mittsommertanz ging und die neugierigen Blicke kaum wahrnahm, bis er auf die Bühne trat und die Musik abbrach; alle Tänzer machten falsche Schritte, und alle drehten sich zu ihm um. Und dann stellte er fest, dass er nackt war. Und dann begannen alle zu lachen. Mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Witze zu machen.
Nein, dies war schlimmer. Aus dem
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