Schweig wenn du sprichst
offensichtlich nötig. Ich dachte immer, dass gerade das Reden heilsam für uns sein könnte?«
Victor trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse neben sich ab.
»Ich habe einfach den Eindruck, dass hier um den möglichen Einfluss von all dem auf die nächsten Generationen zuviel Theater gemacht wird. Was ist daran falsch?«
»Wenn du ein Problem damit hast, schalt das Radio aus, dann brauchst du nichts zu hören.«
Er sah, dass Lilly ihr letzter Satz schon leidtat, und unterdrückte ein Lachen. »Genau das habe ich getan«, sagte er trocken.
»Vielleicht ist das für dich die beste Lösung, aber für uns vielleicht nicht.«
»Na ja …«, seufzte Victor, »lass uns jetzt mal damit aufhören.«
Lilly stand auf, nahm die leeren Tassen mit und ging hinein. Victor zündete sich eine neue Zigarette an.
Als sie ein paar Minuten später zurückkam, legte Lilly ein Buch auf den Tisch. Er sah sich den Umschlag an und lachte.
»Väter während der Schwangerschaft?«, fragte er amüsiert. Er schaute auf ihren runden Bauch. »Was hat deine Schwangerschaft mit unserem Gespräch zu tun? Wenn alles nach Plan läuft, haben wir bald eine Tochter, das ist doch fantastisch, oder?«
»Manchmal habe ich den Eindruck, dass du es bist, der das Kind gebären muss«, sagte Lilly. »Du bist in letzter Zeit so angespannt. Die kleinste Kleinigkeit regt dich auf. Ein Gespräch im Radio, ein Bericht im Fernsehen, ein Freund, der von seinen Eltern erzählt.«
Victor ignorierte ihre Bemerkung. Ihm fiel mal wieder auf, wie schön sie war. Seit sie schwanger war, strahlte sie, und ein milder Zug lag auf ihrem Gesicht. »Ich hör ja schon auf«, sagte er.
»Wann fliegst du morgen?«, wechselte sie das Thema.
»Gegen Mittag. Ich nehme den Wagen und lasse ihn am Flughafen stehen. Oder brauchst du ihn? «
»Ich würde mich sicherer fühlen, wenn das Auto vor der Tür steht, falls was passiert.«
»Gut, dann nehme ich ein Taxi.«
»Hast du viel zu tun?«, fragte Lilly.
»Ich bin bei der letzten Fassung. Der Verleger drängelt ganz schön. Ich soll den Autor treffen und die Sache abschließen. Es sind nicht mehr so viele Korrekturen. Wenn es gut läuft, geht seine Arbeit in zwei Wochen in Druck und ich kann die Rechnung legen.«
»Schaust du noch bei deiner Mutter vorbei oder lässt du das diesmal aus?«
»Wenn sie erfährt, dass ich in Belgien bin, ohne sie zu besuchen, dann ist der Teufel los. Vielleicht schaue ich sogar bei Tante Maaike vorbei. Meine Mutter hat bei unserem letzten Gespräch durchblicken lassen, dass es ihr nicht so gut geht.«
»Maaike … das ist doch deine Lieblingstante, oder?«
»Und meine Patentante. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen und ich habe das Gefühl, dass ich sie jetzt besuchen sollte.«
»Dann musst du das machen.«
Lilly stand auf, um hineinzugehen.
»Übrigens …!«, sagte Victor. »Ich denke gerade, du hast recht. Dieser Baum muss weg. Nur … ich glaube, das dürfen wir nicht entscheiden.«
»Überlass das mal mir«, sagte Lilly.
2
»Hallo?«
Victor suchte den Wecker neben seinem Bett. Er konnte ihn nicht finden.
Er brauchte einige Augenblicke, um sich zu orientieren.
»Hallo? Sie sprechen mit Brigitte Mayer. Ich bin die Oberschwester der Entbindungsstation des AKH . Entschuldigen Sie den frühen Anruf, aber Ihre Frau hat uns gebeten, Sie zu kontaktieren.«
»Moment … Wie spät ist es denn?«
»Vier Uhr morgens.«
»Ist was mit Lilly? Ist was passiert?«
»Ich rufe an, weil Ihre Frau mich darum gebeten hat. Sie ist jetzt auf ihrem Zimmer. Sie ist zu uns gekommen, weil sie dachte, die Wehen hätten eingesetzt. Wir haben sie untersucht, und es ist unseres Erachtens noch zu früh, aber da Sie im Ausland sind, wollte sie gern, dass wir Sie verständigen. Wir behalten sie auf jeden Fall hier.«
»Und wann ist es so weit, was meinen Sie?«
»Noch nicht sofort, aber sie möchte trotzdem gern, dass Sie nach Wien zurückkommen.«
»Äh … Ich muss das erst organisieren, aber das klappt schon. Ich komme so schnell wie möglich. Sagen Sie ihr, dass ich so schnell wie möglich komme.«
»Das mache ich. Sie haben wirklich noch etwas Zeit, aber in so einer Situation weiß man nie.«
»Ich komme so schnell wie möglich!«, wiederholte Victor. »Kann ich sie sprechen?«
»Sie schläft gerade. Und dabei möchten wir es gerne noch etwas belassen. Wir sind bei ihr, machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.«
»Es ist alles in Ordnung … Nun ja, gut … Alles wäre
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