Schwemmholz
her.
Das Fenster kippte schräg und verharrte.
Er musste das Fenster zurückstoßen und den Griff umlegen. Auch hier schlug eine funkensprühende Lohe an der Außenwand hoch. Er wandte sich um. Durch die geöffnete Tür am Ende des dunklen Korridors sah er den Aufenthaltsraum im Flammenwirbel. Ein Luftzug schlug ihm beißenden Rauch ins Gesicht. Der Mann sprang am Fenster hoch. Es war klein und quadratisch. Die Arme voraus zwängte er seinen Oberkörper durch die Öffnung. Für einen endlosen Augenblick hing er auf der Fensterkante. Ein blendender Schmerz schlug ihm ins Gesicht. Er schrie. Dann fiel er kopfüber nach unten und kroch dem Dunkel zu.
Die Nacht war sternklar. Von dem verkohlten Balkenwerk stiegen Rauchsäulen in den dunklen Himmel. Auf einem niedergetretenen Brachfeld leuchteten Scheinwerfer den Landeplatz eines Hubschraubers aus. Der Rotor drehte sich mit gedrosselter Geschwindigkeit, zwei Sanitäter trugen geduckt
eine Bahre zu dem Laderaum. Neben ihnen lief ein Notarzt und hielt eine Infusionsflasche hoch.
Zwei Männer sahen ihnen zu. Der eine trug Helm und Schutzkleidung der Feuerwehr. Die Sanitäter schoben die Bahre in den Hubschrauber und stiegen dann selbst ein. Der Notarzt folgte ihnen. Bretternd beschleunigte der Rotor. Langsam löste sich der Hubschrauber vom Boden, nahm Fahrt auf und drehte nach Nordwesten ab.
»Sie bringen ihn nach Ludwigshafen«, sagte der Mann mit dem Helm. »Aber ich glaube nicht, dass er durchkommt.«
»Wo habt ihr ihn gefunden?«, fragte der andere. Er war unrasiert und trug einen zerknitterten grauen Anzug.
»Da hinten. An der Baustelle«, antwortete der Feuerwehrmann und deutete auf einen lang gestreckten Rohbau mit einem seitlichen Turm. »Ich glaube, er wollte noch zu der Wasserleitung dort.«
Ein Wagen näherte sich und hielt. Eine junge hoch gewachsene Frau stieg aus. Der Mann in dem grauen Anzug nickte seinem Gesprächspartner zu und ging der Frau entgegen.
»Wir haben einen Zeugen, Chef«, sagte sie. »Ich habe mit dem Nachtwächter von diesem Möbelcenter da unten an der Kreuzung gesprochen. Er hat heute am Abend einen Wagen gesehen, der hier zur Baustelle gefahren ist.«
Der Mann wartete.
»Das Nummernschild konnte er nicht sehen«, fuhr sie fort. »Er glaubt, sie haben es verhängt oder zugeklebt. Aber in einem ist er sich sicher. In dem Wagen saßen zwei Männer. Einer von ihnen war ein Glatzkopf.«
Sie warf einen Blick auf den Feuerwehrmann. Der hatte sich abgewandt und stocherte im Brandschutt.
»Ich habe einen Kollegen vom Staatsschutz herausgeklingelt«, sagte sie dann. »Einer seiner Neonazis ist hier aus dem Dorf. Veihle heißt der Mann, Axel Veihle.«
Der Mann schwieg noch immer. »Wir sehen ihn uns an«, sagte er schließlich. »Obwohl mir das fast zu glatt geht.«
Dienstag, 13. April 1999
Durch die Stores an der Fensterfront des lang gestreckten Saals drang das Licht eines trüben Vormittags und vermischte sich mit dem der Deckenstrahler, die tief über den Tischen des Gerichts hingen. Von seinem erhöhten Platz aus konnte Kugler die Kronen der Kastanien vor dem Portal des Justizgebäudes sehen. Noch immer wurde geredet, Kugler musste sich Mühe geben, dem Gemurmel zu folgen. In der Schule war das so gewesen, wenn sich die Stimme des Lehrers anhörte, als sei sie ins Ferne abgedriftet. Etwas unterhalb von ihm saß Stefan Rodek, straff, aufrecht, die schwarzen Haare akkurat geschnitten, Nacken und Ohren frei, die Hände auf dem Tisch, als befände er sich auf einem Lehrgang für Stabsunteroffiziere. Rechts neben Rodek hockte Axel Veihle. Glatzköpfig. Ein Mehlsack, der es fertig gebracht hatte, dumm zu grinsen, als der medizinische Sachverständige Dias von den Brandwunden gezeigt hatte.
Kugler zwang sich, dem Experten des Landeskriminalamtes zuzuhören, der am Tisch unterhalb der Staatsanwältin Meulenfeld saß. Der Mann trug einen struppigen grauen Bart und blickte ergeben auf das Gericht, als habe er schon lange die Hoffnung aufgegeben, einem Juristen naturwissenschaftliche Grundbegriffe verständlich machen zu können. Schließlich stand er auf, ging zum Richtertisch und legte dem Vorsitzenden mehrere Diagramme vor. Kopien davon brachte er der Staatsanwältin und den beiden Anwälten.
Die Diagramme zeigten scharf gezackte, dann unterschiedlich
auslaufende Kurven. Kugler ließ die Blätter vor sich liegen. Neben ihm beugte sich Rosdorfer beflissen darüber.
»Wenn ich das zusammenfassen darf«, sagte der Vorsitzende
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