Schwemmholz
Richter Hagenberg, »dann ist dem Brand des Wohncontainers, in dem sich der Nebenkläger Casaroli befand, durch einen Brandbeschleuniger nachgeholfen worden?«
»Man kann das so nennen«, antwortete der Sachverständige. »Wir haben vor beiden Türen und unterhalb der Fenster Rückstände von Mineralöl gefunden, außerdem Überreste von verbranntem textilem Gewebe. Das deutet darauf hin, dass an den Außenwänden des Containers Öl ausgeschüttet und mit brennenden Stofflappen angezündet wurde.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Rosdorfer. »Wieso das? Benzin entzündet sich doch sofort, da brauchen Sie nur eine brennende Zigarettenkippe hineinzuwerfen.«
Mit resignierter Geste wies der Experte auf die Diagramme. »Es ist kein Kraftstoff für Ottomotoren verwendet worden, sondern Mineralöl mit wesentlich höherem Flammpunkt. Es war also kein Benzin, wohl aber Dieselkraftstoff oder Heizöl. Deswegen wurden zusätzlich Zünder benötigt.«
»Habe ich das vorhin richtig verstanden«, meldete sich einer der beisitzenden Richter zu Wort, »die Rauchspuren, die am Hemd und im Gesicht des Angeklagten Veihle gefunden wurden, rühren ebenfalls von Mineralöl her?«
»Das ist richtig.«
»Können Sie das nicht näher eingrenzen?«, schaltete sich Hagenberg ein. »War das nun Dieselkraftstoff oder Heizöl? Soviel ich weiß, wird Heizöl mit Zusatzstoffen markiert, weil der Fiskus sonst nicht die Leute überführen kann, die damit ihren Daimler auftanken.«
»Auch das ist richtig. Furfurol ist ein solcher Zusatz. Aber die uns vorliegenden Proben reichen nicht aus, um solche Zusätze nachzuweisen. Oder sie auszuschließen.«
Hagenberg überlegte. »Gilt das sowohl für die Proben vom Brandschutt wie für die Rauchpartikel, die beim Angeklagten Veihle gefunden wurden?«
»Exakt. In beiden Fällen kann Heizöl im Spiel gewesen sein, aber auch Dieselkraftstoff.«
Im Spiel ist gut, dachte Kugler.
Rosdorfer bedankte sich und bat, die Antwort ins Protokoll aufzunehmen. Der Protokollführer war ein blasser unauffälliger Mann, der auf der Richterbank links von den drei Richtern und den beiden Schöffen saß, fast auf gleicher Höhe mit den Anwälten. Rodek drehte den Kopf und warf Kugler einen kurzen Blick zu. Kugler verzog nur kurz einen Mundwinkel. Er war Rodeks Anwalt. An diesem Morgen musste er nicht viel tun, um sein Geld zu verdienen.
Veihle feixte. Kugler schüttelte unwillig den Kopf. Rosdorfer hat seinen Mandanten nicht im Griff, dachte er. Aber es hatte keinen Zweck, dem Kollegen Ratschläge zu geben. Der war seit dreißig Jahren im Geschäft und hielt sich für einen Starverteidiger, seit er einmal einen Mann freipaukte, der – wie jeder zu wissen glaubte – die eigene Frau ersäuft hatte.
Besorgt warf er einen Blick auf das Gericht. Hagenberg und die beiden anderen Berufsrichter steckten die Köpfe zusammen, die beiden Schöffen starrten leer vor sich hin. An Veihle schien niemand Anstoß genommen zu haben. An der Fensterseite des Saales, Kugler gegenüber, saß Casaroli in seinem Rollstuhl, die Wollmütze über dem Schädel, die Hände in Handschuhen verpackt. Seine Gesichtshaut war weißfleckig, und statt des Mundes hatte er eine Art Querspalt.
Kugler vermied es, länger hinzusehen. Sein Blick ging weiter, glitt bemüht gleichgültig über den dunkelhaarigen Mann auf dem Fensterplatz in der dritten Reihe, der seinen beigen Kamelhaarmantel über die Lehne des Vordersitzes gelegt hatte. Noch ein Spaghetti, hätte Veihle gesagt. Kugler erinnerte sich an die ersten Gespräche mit Rodek. »Den Ausdruck Spaghetti will ich von Ihnen nicht mehr hören. Nicht während der Verhandlung.«
In der Verhandlungspause hatte ihn Rodek auf den Mann am Fenster angesprochen. Ob man herausfinden könne, wer das sei? Kugler hatte sich gewundert. Es schien das erste Mal,
dass Rodek beunruhigt war. Angst vor der Mafia? Oder wäre da wohl eher die N’drangheta zuständig? Es war albern, aber Kugler hatte trotzdem einen früheren Kommilitonen angerufen, der jetzt Abteilungsleiter beim Landeskriminalamt Stuttgart war, und ihm eine Beschreibung durchgegeben.
Vor ihm schnaufte Veihle auf. Ein mittelgroßer, grauer Mann von aufrechter Haltung hatte den Saal betreten und dem Protokollführer seine Personalien diktiert: ». . . ladungsfähige Anschrift: Polizeidirektion Ulm, Neuer Bau; mit den Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert, wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.«
Plötzlich war Kugler hellwach. Der Graue war
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