Schwemmholz
immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Das habe ich bereits gemerkt«, antwortete Kaufferle. »Lassen Sie mich es so sagen: Unsere Bank ist in sehr erheblichem Umfang bei Ihnen engagiert. Ich wünsche mir und Ihnen, dass wir das nie bedauern müssen.«
»Jetzt verstehe ich Sie überhaupt nicht mehr«, erwiderte Welf. »Wir haben bisher alle Kredite pünktlich bedient.«
»Gewiss«, antwortete Kaufferle: »Pourvu que ça dure. Soll Napoleons Mutter einmal gesagt haben.« Er lüftete kurz seinen Hut und schlug den Weg zum Münsterplatz ein, wo seine Bank in einem unauffälligen Eckhaus residierte.
Langsam senkten sich die Jalousien an der Fensterwand des quadratischen Saals und verdunkelten ihn. Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Hinter dem Tisch des Baudezernenten war eine Leinwand aufgebaut; Baubürgermeister Klotzbach hatte seinen Platz geräumt und sich, die Arme verschränkt, neben Welf gesetzt. Die beiden unterhielten sich halblaut. An den hufeisenförmig angeordneten Tischen der Stadträte und in den Zuhörerreihen löste sich die Stimmung.
Judith Norden sah sich unauffällig um. Das Publikum kam ihr vor wie eine naturbelassene Auswahl des besseren Ulmer Bürgertums, die männlichen Exemplare zumeist mittleren Alters, den Teint vom Skifahren im Montafon oder der regelmäßigen
Ruderpartie auf der Donau nachgedunkelt. Auch einige Frauen waren darunter; sie trugen Kostüme von handgewebter Eleganz und sahen aus, als ob sie sich morgens kalt duschten. Zwischen allen aber, Judith schaute lieber erst gar nicht hin, thronte rosenwangig und großbusig und Wagenrad-behütet Ellinor Welf, Witwe, Mutter, vermutlich auch Ehrengauleiterin der Turnerinnen und als solche jedenfalls berechtigt, zu was auch immer. Judiths Blick glitt durch den Saal und blieb an dem massigen Mann hängen, der seitlich von Ellinor Welf saß, unmittelbar hinter dem Pressetisch. Er hatte eisgraues Haar und eine wulstige Stirn. Sein Gesicht war gerötet, als ob er an Bluthochdruck leide. Jakob Gföllner in Person. Sieh an, dachte Judith. Sie kannte den Bauunternehmer von einem Empfang der Industrie- und Handelskammer, deren Vizepräsident Gföllner war. Neben ihm hockte ein jüngerer Mann, noch vierschrötiger als jener, den Kopf gesenkt, als ob er ihn zwischen seinen massigen Schultern sichern müsse.
Die Leute hier pflegen einen ausgeprägten Familiensinn, dachte Judith. Trotzdem wunderte es sie, dass Vater und Sohn Gföllner gekommen waren. Welf wirkte aber nicht beunruhigt. Offenbar vertraute er auf seine Absprachen mit Klotzbach und den Sportfunktionären im Publikum. Nicht einmal das Aufkreuzen seiner Mutter-Fregatte hatte ihn irritiert.
Welf, der schräg vor ihr saß, schien ihren Blick gespürt zu haben. Er wandte sich zu ihr um und nickte ihr zu. Wie immer, hatte er sie auch hier als seine Assistentin vorgestellt.
Sie löschte das Licht und startete das Abspielgerät. Für einige Augenblicke versank der Kleine Sitzungssaal des Ulmer Rathauses in Dunkelheit. Dann flammte auf der Leinwand am Kopfende der Sternenhimmel auf. In scheinbar rasender Fahrt stürzte die Kamera auf einen der Sterne zu, holte ihn ins Blickfeld, es war die Erde, wolkenweiß und wasserblau, dem Betrachter flog Europa entgegen, die Donau und die Alb und Ulm mit dem grünen Park der Friedrichsau, aus der eine kreisrunde Keksdose aus Stahl und Glas ins Auge sprang. Unversehens fanden sich die Zuschauer in einer Basketballhalle mit
riesigen Rängen wieder. Die Musik, eine verfremdete Aufnahme von Beethovens Neunter, klang aus, auf der Leinwand wurde eine Großaufnahme des Ulmer Basketball-Stars Lewis Robinson eingeblendet: »Willkommen, welcome, bienvenu in Ulm«, sagte Robinsons sonore Stimme mit dem angenehmen amerikanischen Akzent.
Keinem achtjährigen Kind hätte man mit einer solch ausgelutschten Computer-Animation kommen dürfen, dachte Judith. Aber im Ulmer Rathaus mochte es noch angehen. Und Pläne konnten die Leute schon lange nicht mehr lesen.
Die Kamera begann, Gänge und Umkleideräume, Foyer und VIP-Lounges abzufahren, Robinsons Stimme gab kurze Erklärungen und leitete über zu Basketballern und Eishockey-Cracks, deren Spielszenen so montiert waren, als seien sie in der Halle aufgenommen, die es noch gar nicht gab. Dazwischen wurden Schwenks mit jubelnden Fans eingeblendet.
»Ich hoffe, unsere neue Halle gefällt auch Ihnen«, sagte die Stimme zum Schluss. »Wir müssen sie jetzt nur noch bauen. Helfen Sie uns dabei.«
Das Licht ging
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