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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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erschrak.
    »An Geister?«
    »Ja.«
    »Untote?«
    »Ja.«
    »Sind Sie religiös?«
    Im Anflug eines Déjà-vu-Erlebnisses fühlte er sich in das Heim versetzt, in dem er seine Kindheit hatte verbringen müssen. Junge, das war doch nur ein Scherz. Das war nicht witzig. Sind sie nicht lieb, unsere Schäfchen t Er wollte sich nicht von der unangenehmen Erinnerung überwältigen lassen. Er konzentrierte sich, dem Hämmern in seinem Kopf zum Trotz: »Nein. Ich bin nicht gläubig, nicht im christlichen Sinne. Nicht katholisch, nicht evangelisch oder was es sonst noch für Formen und Ausprägungen gibt. Damit habe ich nichts am Hut. Aber was, wenn es etwas gibt, das über das irdische Dasein hinausreicht?« Er blickte den Priester fest in die Augen. »Verstehen Sie, was ich sagen möchte?«
    »Nein.« Auch diese Antwort kam viel zu schnell.
    Philip suchte nach Worten, um sich klarer auszudrücken. Er dachte an die Ereignisse der zurückliegenden Tage, doch sie verschwammen hinter dem Schmerz in seinem Kopf. Die klirrende Kälte, die durch den Raum zog, machte das Nachdenken nicht einfacher.
    »Vielleicht lebt ein Teil von uns nach dem Tod weiter. Unser Geist, unser Bewusstsein, unsere Psyche. Sie würden es wahrscheinlich Seele nennen. Was es auch ist, vielleicht existiert es weiter. Und vielleicht kann es zu uns zurückkehren, ins Diesseits zu den Lebenden. Und dann sieht es aus wie früher. Oder ganz anders…«
    »Eine interessante These…«
    »Nur eine These?«
    »Einwandfrei.«
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Aber natürlich. Es gibt einfach keinen Grund, warum die Toten aus dem Jenseits zurückkehren sollten.«
    Philip war sich da nicht so sicher. Jetzt wollte er nur noch raus aus dem Pfarramt. Kälter als hier drinnen konnte es auch draußen nicht sein, zumindest würde er endlich den muffigen Geruch aus der Nase bekommen. Und vielleicht ließ der Schmerz dann endlich nach.
    Er sprang auf. »Ich würde gerne meine Oma noch einmal sehen. Wo hat man sie hingebracht?«
    »Na, wohin wohl?«, erwiderte Kahlscheuer ungehalten.
    »Wohin?«
    »In das Institut für Rechtsmedizin der Charité.«
     
     
    London
     
    Ihr zweiter Gedanke war: eine Rose.
    Zumindest erinnerte der eigenartige Gegenstand an eine Rose. Aber es war keine Pflanze. Welche Pflanze war grün und rot und blau zugleich? Es hatte nur die Form einer Rose. Es war nicht natürlicher Herkunft, aber auch nicht künstlich geschaffen. Seine Herkunft zu bestimmen war Beatrice unmöglich. So etwas hatte sie noch nie gesehen, auch nicht vor ihrer Amnesie, das wusste sie mit unverrückbarer Gewissheit.
    Ein schwaches irisierendes Glimmen umgab die Rose wie eine zweite Haut, ein winziger Lichtimpuls nur, den sie nicht wahrgenommen hätte, wenn die Beleuchtung in dem Bankraum nicht gedämpft gewesen wäre. Das Glühen war unwirklich, so als sei es nur ein Abglanz eines viel helleren Lichtes einer anderen Welt. Wie eine Glühbirne, die auf der Netzhaut noch einige Sekunden nachbrannte, nachdem man sie ausgeschaltet hatte.
    Was ist das?
    Sie wusste keine Antwort. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken es zu berühren, aber sie würde sich überwinden müssen, wenn sie es mitnehmen wollte.
    Sie bewegte ihre Hand nach vorne. Ihre Finger streiften die Rose, die keine war. Sie spürte die warme Oberfläche unter den Fingerkuppen. Es fühlte sich an wie… nichts von dieser Welt. Sie umfasste es mit einem beherzteren Griff. Der Boden vibrierte. Es war wie das dumpfe Pulsieren eines gigantischen Herzens im Erdinneren. Für einen kurzen Augenblick verlor sie den Halt unter den Füßen. Mehr als je zuvor fühlte sie sich wie in einem Traum gefangen.
    Etwas strich dicht an ihr vorbei, berührte sie am Hinterkopf. Sie spürte es so deutlich, als bewege sich plötzlich etwas Großes und Machtvolles, etwas, das jenseits der Wirklichkeit existierte, sie aber durch sein bloßes Erwachen schon zum Erzittern brachte. Ihr hämmerndes Herz suchte einen Ausweg aus dem Gefängnis ihrer Rippen. Sie stand einfach da, gebannt gleichermaßen von Schrecken und Faszination.
    Was immer es war, es umkreiste sie neugierig, als prüfe es sie. Sie spürte, wie es sich einen Weg durch ihre Kleidung suchte. Es strich wie mit zarten Fingern über ihre Haut. Sie zuckte zusammen, doch die streichelnden Hände waren sofort wieder bei ihr.
    Sie streiften ihre Brust, berührten ihren Bauch, schlangen sich wie ein Netz um sie, becircten sie und drangen durch die Haut in ihren Körper ein, sanft und unaufhaltsam. Sie
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