Schwester Lise
Augenblick vor sich hinhielt, da stand vor Halfdan das Bild, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte: Als sie den Sterilisator mit einem Schrei fallen ließ und das Weite suchte, weil sie kein Blut und keine Knochensplitter sehen konnte.
Wie hatte er sie doch genannt: „Hysterisches Frauenzimmer“ -„verhätschelte Zimperliese“ -, er wurde rot unter der Maske.
Eirin sah es. Und mitten in der Gemütsbewegung, mitten bei der Arbeit, mitten in dem brennenden Schmerz, in dem Bewußtsein, daß er, den sie liebte, einer anderen gehörte, empfand sie einen befreienden Stolz. Sie wußte, was er jetzt dachte. Ihre große Stunde war gekommen: Sie hatte sich vor seinen Augen bewährt! Sie hatte gleichzeitig gewonnen und verloren. Seine Achtung hatte sie wieder
- aber es hatte sie ihr Lebensglück gekostet.
Die Wunde war geschlossen. Halfdan konnte jetzt von seiner Spezialität Gebrauch machen - dem „Kunststopfen“. Eirin hielt die Schere bereit und schnitt die Fäden ab.
Im Operationssaal war es still. Nur der schwere, röchelnde Atem des Patienten war zu hören.
Der letzte Stich war gemacht, der Faden abgeschnitten. Halfdan verband mit leichten, geübten Händen. Dann war alles vorüber.
Er ließ sie vor sich durch die Tür in den Waschraum hinausgehen. Jetzt kam die Reaktion. Sie zitterte so, daß sie kaum die Maske ablegen konnte. Sie stülpte die blutigen Handschuhe herunter und riß Schürze und Kappe ab.
Da fühlte sie, wie sich zwei Hände auf ihre Schultern legten. Sie wurde umgedreht, und nun - nun hatte sie Halfdans Gesicht ganz dicht vor dem ihren. „Eirin.“
Und mit einemmal war ihr, als ob der Fußboden unter ihren Füßen wegglitt, wie ein Blitz schlug es in sie ein - wie -, ja, wenn sie später an diesen Augenblick zurückdachte, konnte sie nie Worte dafür finden. Denn Halfdans Augen verrieten ihr in einem einzigen Blick alles, was sie wissen wollte. Sie kündeten von einer grenzenlosen Treue, von einer Liebe, die niemals sterben konnte -sie erzählten, daß er nie auch nur eine Sekunde daran gedacht hätte, sie im Stich zu lassen. Alle Gerüchte, Vermutungen und Behauptungen verloren sich wie Wolken vor dem Wind. Sie wußte, daß er zu ihr gehörte, nur zu ihr - seit jener Frühlingsnacht, als sie zusammen vom Atelierfest nach Hause gingen -, für alle Zeit. „Halfdan!“
Dann lag sie in seinen Armen, und es war, als sollte sie in lauter Glück ertrinken -
23
Doktor Brattholm saß im Bett, durch Kissen gestützt. Neben ihm standen Halfdan und Eirin.
„Sie sind wahrhaftig der tollste Bursche, der mir je vorgekommen ist!“ rief Brattholm und schlug auf die Bettkante. „Erst rückten Sie mir aus, nachdem Sie mich so verwöhnt haben, daß ich seitdem mit keinem Assistenten mehr zufrieden war; dann fallen Sie plötzlich vom Himmel, retten mir ein Menschenleben und legen da eine Operation hin, auf die jeder erfahrene alte Chirurg stolz sein könnte. Und dann erklärt der Unmensch mir kurz und bündig, daß er wieder ausrücke und mir meine rechte Hand mitnehme! Gehen Sie dahin, wo der Pfeffer wächst, wenn Sie wirklich müssen, Hoek, aber Schwester Lise, die lassen Sie gefälligst hier, wo sie ist! Der Teufel möge Sie holen! Da laufe ich rum und denke, Sie sind verheiratet, und dann - “
Halfdan lachte.
„- und dann arbeitet der Herr Kollege selbst mit der zusammen, die meine Frau sein sollte. Herr Doktor Brattholm, ich habe mich vier lange Jahre nach dieser unnützen kleinen Person fast zu Tode gesehnt. Und jetzt, da ich sie endlich gefunden habe-“
„-da wollen Sie sie nicht herausrücken. Ja, staunen Sie nur! Das kapiere ich sogar. Aber was zum Kuckuck wollen Sie in Frostviken? Bleiben Sie doch hier! Ich erhebe durchaus keinen Einspruch dagegen, wenn meine Operationsschwester verheiratet ist. - Wie schon gesagt, Hoek, ich kann einen Oberarzt brauchen - das heißt, ich finde keinen; aber wenn ich Sie kriegen kann, dann - “ Brattholm lächelte zwar, sah aber plötzlich sehr müde aus.
„Hören Sie, Hoek, jetzt bin ich ernst. Setzen Sie sich mal, und hören Sie dem alten Brummelbären zu. Sie sind selbst so viel Arzt, genug, um einzusehen, daß es nicht nur die drei Zigarren waren, die mich da umgeschmissen haben. Das war so ein erster kleiner Warnschuß vor den Bug, mein Junge; vergessen Sie nicht, ich bin ein alter Mann. Sie verstehen, Hoek, ich habe keine Lust, diese meine schöne Klinik zu verlassen. Außerdem geht sie gut! Aber so ist es doch im Leben: Wenn der Tag kommt,
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