Schwiegertöchter (German Edition)
Eigenes aufziehen.
»Ich begreife das nicht«, sagte sein Abteilungsleiter. »Ich begreife Menschen wie Sie einfach nicht.«
»Nein«, sagte Ralph. »Das stimmt.« Und dann nahm er die Krawatte ab und warf sie in den Firmenpapierkorb, dessen Seite ein silbergeprägtes Banklogo schmückte.
Er sah sehr gut aus, dachte Rachel. Die Bank hatte auf regelmäßigen Friseurbesuchen und einem konventionellen Haarschnitt bestanden, und durch das viele Wandern und Schnorcheln an den Wochenenden war er gebräunt und durchtrainiert. Sein Blick war klar und seine Zähne waren dank geschickter Zahnkosmetik in Singapur, für die die Bank bezahlt hatte, ein wesentlich angenehmerer Anblick als das ziemlich schiefe Gebiss seiner Jugend. Er richtete sich mit vollkommener Selbstverständlichkeit wieder in seinem alten Zimmer ein, quetschte seine Anzüge auf Drahtbügeln ganz hinten in den Schrank und erschien zu beliebiger Tages- und Nachtzeit, wie er es auch früher immer gemacht hatte, auf der Suche nach Cornflakes oder Kaffee oder dem Sportteil der Zeitung.
»Hast du irgendeinen Plan?«, fragte Anthony.
Ralph beugte sich über ein Sudoku und hielt einen Becher mit Suppe umfasst. Er schaute kurz auf, sagte aber nichts.
»Na ja, ich will nicht den inquisitorischen Vater spielen. Ich will dich auch nicht langweilen. Aber du bist siebenundzwanzig Jahre alt und hattest eine beachtliche, wenn auch kurze Karriere, und dass du nun in einem Pullover aus deiner Schulzeit in der Küche deiner Mutter sitzt, scheint mir keine besonders befriedigende Entwicklung zu sein.«
Ralph betrachtete seinen Vater. »Ich habe ein Cottage gekauft.«
»Was?«
»Ich habe ein Cottage gekauft.«
»Wann …«
»Neulich.«
»Ralph …«
»War ganz einfach«, sagte Ralph. »Ich hab davon gehört, hab’s mir angesehen, es hat mir gefallen, und da habe ich es gekauft.«
»Wo ist es?«
»Shingle Street.«
»Ach, Ralph …«
»Es ist cool. Es liegt in einer kleinen Häuserzeile. Direkt am Strand.«
»Aber was hast du vor in Shingle Street, wie willst du in solcher Abgeschiedenheit deinen Lebensunterhalt verdienen?«
Schweigen. Ralph schlürfte laut etwas Suppe und blickte zurück auf sein Rätsel.
»Überlass das nur mir«, sagte er.
Als Petra das nächste Mal kam, war Ralph draußen in seinem Cottage, das er seinen Eltern bisher noch nicht hatte zeigen wollen.
»Warum nicht?«
»Ich streiche es noch.«
»Ach ja? Innen oder außen?«
»Innen.«
»Schön. Welche Farben?«
»Weiß«, sagte Ralph.
»Brauchst du Hilfe? Hättest du gerne Vorhänge und so was? Warum machst du nicht eine Liste mit Sachen, die du brauchst.«
»Nein, Mum«, sagte Ralph. »Nein. Vielen Dank.«
Weder Rachel noch Anthony erwähnten Petra gegenüber, dass Ralph wieder zu Hause war. Petra hatte mit Rachel eine Meeresfrüchte-Lasagne zubereitet und war dann hinüber ins Atelier gegangen, um Anthony dabei zuzusehen, wie er mit Pinsel und schwarzer Wasserfarbe experimentierte. Er zeichnete Geier, die sich mit erhobenen Flügeln und vorgereckten Köpfen wütend voreinander aufbauten. Petra saß neben ihm wie die Notenwenderin eines Pianisten und sah aufmerksam seinen Pinselstrichen zu. Gelegentlich sagte er Dinge wie: »Manchmal sind Richtungslinien nützlich«, oder: »Findest du das besser, weil es eher ein Diagramm als eine Zeichnung ist?« Aber meistens saßen sie still beieinander, und ihr Schweigen wurde nur vom schwachen Knistern und Knacken des Holzofens unterbrochen.
Als Anthony schließlich sagte: »Tee?«, bejahte Petra in einem Ton, der zwar erfreut klang, aber ebenso erkennen ließ, dass sie, wenn nötig, auch noch Stunden hätte warten können. Sie verließen das Atelier, gingen über den Kies zum Haus, und dort saß Ralph in der Küche mit weißen Farbklecksen auf Händen und Kleidung.
Rachel sagte: »Petra. Das ist unser mittlerer Sohn. Das ist Ralph.«
Petras Blick zielte leicht an Ralph vorbei. »Hallo.«
»Hallo«, sagte Ralph. Er wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er: »Wieso heißen Sie Petra?«
»Nach einer alten Stadt in Jordanien«, sagte Anthony etwas zu beflissen.
»Nein«, sagte Petra. Sie warf Ralph einen kurzen Blick zu. »Nach einem Hund. Dem Hund aus der Kinderserie ›Blue Peter‹.«
»Dem Hund …«
»Meine Mutter hat sicher nichts über Jordanien gewusst.«
Anthony machte erneut den Mund auf.
»Sei still, Dad«, sagte Ralph. Er lächelte Petra an. »Ignorieren Sie ihn einfach.«
»Das macht nichts.«
»Sie war ein berühmter
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