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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Trollope
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Schilf streiften und ihren eigentümlich dröhnenden Ruf ausstießen. Und wenn er zurückkam, hatte sie sich kaum bewegt, und die Seiten ihres Skizzenbuchs waren gefüllt mit den schnellen dynamischen Zeichnungen, deren Anblick ihm so viel Freude bereitete.
    »Ich frage mich, ob es dasselbe Gefühl gewesen wäre, wenn wir eine Tochter gehabt hätten«, sagte Rachel.
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil es nicht so unbeschwert gewesen wäre. Es hätte Probleme gegeben. Die gibt es immer.«
    »Also …«
    »Also dürfen wir es nicht kaputt machen«, sagte Anthony.
    Dann kam Ralph nach Hause. Er war von der amerikanischen Bank, die ihn zur Überraschung seiner Eltern eingestellt hatte, nach Singapur geschickt worden. Er hatte dort nicht hingepasst, nach Singapur. In seinen E-Mails schilderte er Wochenendausflüge auf Inseln, in die Berge und zu Küstenstreifen, die nicht gerade Tummelplätze für westliche Besucher mit ihrem Bedürfnis nach sterilisiertem Abenteuer waren. Er sagte, er würde drei Jahre dabeibleiben, bis er genug Geld zusammen hätte, um nach Hause zu kommen und in Suffolk ein Cottage zu kaufen und ein eigenes Geschäft zu betreiben, bei dem er weder Krawatte tragen noch Stammgast auf Flughäfen sein musste. Er gab keinerlei Hinweise auf sein Privatleben und umging alle diesbezüglichen Fragen von Rachel mit geübter Wendigkeit.
    »Er wird verheiratet zurückkommen«, sagte Rachel. »Oder auch nicht verheiratet. Aber mit einem malaiischen oder indonesischen Mädchen. Und einem Baby. Ein Baby ist unausweichlich. Und sie wird Suffolk hassen und unglücklich sein und frieren, und dann wird sie ihn verlassen und nach Hause wollen.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Kümmert dich das nicht?«
    »Doch, entsetzlich«, sagte Anthony. »Aber was können wir tun? Was haben wir je bei Ralph tun können?«
    Rachel warf ihm einen kurzen Blick zu, den sie sogleich wieder abwandte, aber dennoch konnte er die aufsteigenden Tränen in ihren Augen sehen. Rachel weinte nicht so leicht, hatte nie Zuflucht zu Tränen gesucht, wenn sie verstört oder frustriert war – außer wenn es um Ralph ging. Schon als Baby, und später als komplizierter, verschlossener kleiner Junge war Ralph ihr immer ein Rätsel geblieben, das sie weder lösen noch lassen konnte. Er war ihre Achillesferse, und das konnte sie nur aushalten, wenn sie ihn in ihrer Nähe wusste, wenn sie eine gewisse Kontrolle ausüben, sich um ihn kümmern und ihn umsorgen konnte. Ab und zu hatte Anthony sie darauf hingewiesen, dass es vielleicht keine gute Idee sei, Ralph derart in seiner sturen Unangepasstheit zu bestärken, aber dann schlug sich Rachel immer sofort auf dessen Seite und nahm ihn, und damit auch ihre eigene Verletzlichkeit im Zusammenhang mit ihm, in Schutz.
    Er sei ein so kluger, so begabter und ungewöhnlicher Mensch, sagte sie, und darum sei es fantasielos, kleingeistig und intolerant, von Ralph konventionelle Anpassung zu erwarten. Anthony stritt selten. Er erkannte nicht nur, wie intensiv Rachels Schutzbedürfnis war, sondern er teilte es auch bis zu einem gewissen Grad. Als Ralph aus heiterem Himmel verkündete, dass er nach Singapur gehen würde, wurde Anthonys spontane, wenn auch schuldbewusste Erleichterung sogleich von echter Sorge gedämpft. Würde Ralph jemals zurückkommen? Oder würde er wie eine Figur aus einer Kurzgeschichte von Somerset Maugham irgendwo am Ende der Welt beim Schein einer Kerosinlampe alkoholumnebelt altgriechische Philosophie im Original lesen? Vielleicht träfe auch Rachels Befürchtung ein und er käme heim, wie immer unangekündigt, ein Mädchen und ein Baby im Schlepptau, das er anschließend ohne Erklärung oder Entschuldigung bei seinen Eltern abladen würde?
    Doch dann kam Ralph nach Hause, alleine. Er hatte bei der Bank gekündigt. Sie hatten ihn gebeten zu bleiben, aber trotz der Tatsache, dass viele seiner Kollegen gefeuert wurden und neidvoll mit ansehen mussten, wie er geradezu bedrängt wurde zu bleiben, bestand er auf seiner Kündigung. Seinem Abteilungsleiter erklärte er, er sei zwar durchaus in der Lage, sein bisheriges Leistungsniveau weiter aufrechtzuerhalten, aber er sei nicht mit dem Herzen dabei, ihm fehle die innere Überzeugung. Sein Vorgesetzter fragte mit einiger Schärfe, ob ihn denn das angebotene Geld nicht überzeuge, doch Ralph erwiderte, Geld sei nicht ausschlaggebend für seine Einstellung, er habe fürs Erste genug verdient und müsse aus dieser ganzen tropischen Aufgeräumtheit raus und etwas

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