Schwiegertöchter (German Edition)
renovieren.«
»Quatsch«, sagte Rachels Schwester.
»Was ist Quatsch?«
»Natürlich kannst du es renovieren. Es ist jetzt dein Zuhause, oder nicht? Gib Anthony seinen Teil und mach ihm klar, dass du auf den Rest dasselbe Recht hast, wie seine Mutter es hatte oder seine Großmutter oder Urgroßmutter oder sonst wer.«
»Was meinst du mit seinem Teil?«
Rachels Schwester seufzte. Sie versuchte, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass der Aquamarin an Rachels Verlobungsring die Größe eines Kaubonbons hatte. »Ach, du weißt schon. Dieses Scheunending. Ein eigenes kleines Reich, wo Männer hingehen und herumwerkeln und Sachen basteln, die nicht funktionieren, so dass sie sie wieder auseinandernehmen müssen. Zeichnet Anthony nicht?«
»Er zeichnet sogar ziemlich gut«, sagte Rachel stolz.
»Na bitte«, antwortete ihre Schwester. »Schaff ihm einen Ort, wo er zeichnen kann. Ich wünschte, Frank würde zeichnen. Ich wünschte, Frank würde zeichnen oder Käfer sammeln oder einem Fahrradclub angehören. Ich wünschte, Frank würde irgendetwas machen, irgendetwas anderes als zu denken, es sei seine Aufgabe, jedes straffällige Kind in Dalston und Hackney zu retten.«
»Man könnte ein Atelier daraus machen«, sagte Rachel einige Tage später zu Anthony.
»Woraus?«
»Aus der Rumpelkammer.«
»Aber es ist immer die Rumpelkammer gewesen.«
»Na ja«, sagte Rachel und blinzelte hoch in den weiten ostenglischen Himmel, »dann wird sie es künftig nicht mehr sein.«
Anthony sah gekränkt aus.
»Mum und Dad haben sie so immer gemocht.«
Rachel blickte weiter nach oben.
»Mum und Dad sind jetzt im Himmel, Anthony.«
»Sie haben nicht an den Himmel geglaubt. Sie haben nicht an Übernatürliches geglaubt. Sie glaubten an die überragende Bedeutung des menschlichen Geistes. So wie ich. Sie waren Pragmatiker.«
»Die Rumpelkammer ist nicht pragmatisch«, sagte Rachel. »Sie ist eine zusammenbrechende Platzverschwendung. Sie würde ein wundervolles Atelier abgeben. Sie hat sogar eine große Nordwand für ein Fenster. Du könntest dort malen und zeichnen und Vogelmodelle basteln so groß wie Flugzeuge. Du könntest sogar Flugzeuge bauen , so viel Platz ist da drin.«
Anthony verkaufte ein Stück des alten, brachliegenden Obstgartens seiner Eltern, und der Erlös reichte für den Umbau der Rumpelkammer in ein Atelier. Er baute Fenster und Oberlichter und einen Ofen ein, verlegte alte Backsteine auf dem Fußboden und verkleidete die Wände mit Holz. Er schleppte alte Küchentische hinein und zerschlissene, nach Jahrzehnten auf Steinplattenböden bis auf das Untergewebe heruntergetretene Teppiche. Aus der kleinen Kammer, deren Wände vom Rauch endloser Nachmittage verfärbt waren, die sein Vater dort mit seinen komplizierten Berechnungen und Querverweissystemen für Pferdewetten verbracht hatte, holte er sich ein paar abgenutzte Sessel. Er stellte seine Staffeleien und Regale auf und brachte alte Sattelklemmen an, um Rahmen daran aufzuhängen. Dazu kamen Bücher und die Lockvögel, welche einst die Fischer am Orford Kai aus Holz schnitzten, wenn die See zu rau war, um mit den Booten hinauszufahren. Und dann hängte er sein Paradestück auf, eine Reproduktion von »Die Taube«, einer Gouache auf Leinwand, die Joseph Crawhalls, einer der »Glasgow Boys«, 1894 gemalt hatte. Er hatte Rachel extra dorthin mitgenommen, um ihr das Original in der Burrell Collection zu zeigen.
»Er ist mein Vorbild«, sagte Anthony.
Rachel hatte die Taube betrachtet, ihr weißes, mit Grau geflecktes Federkleid, Schnabel und Füße blass korallenfarben, ihr hartes, wildes kleines Auge.
»Sie ist wunderschön«, sagte sie. »Warum ist sie so wunderschön?«
»Weil man die Seele des Vogels spürt«, sagte Anthony. Er nahm ihre Hand. »In der frühen chinesischen Kultur hatte das Malen von Vögeln einen sehr hohen Stellenwert. Nicht nur, weil Vögel so dekorativ sind, sondern weil sie wild sind, Bewohner der Lüfte und der Freiheit. Die Chinesen glaubten, man solle einen Vogel über Jahre hinweg intensiv beobachten und ihn dann aus dem Gedächtnis malen, so lebendig wie möglich. Sie meinten, in der Fähigkeit, durch Beobachtung das Wesen von etwas zu erfassen und es dann zu malen, würde sich das ganze Potenzial des menschlichen Geistes am besten ausdrücken. Crawhall malte aus dem Gedächtnis, wie man es ihm als Knaben beigebracht hatte. Ich musste mir das selbst beibringen. Mir sind in einem Bild Leben und Wahrheit wichtiger als Romantik. Es
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